Das Filmbett
Sinnlichkeit,
aber bislang war alle sexuelle Erregung, auch der durchaus leicht zu erzielende
Orgasmus, eine rein physische Angelegenheit gewesen, die auf der Grundlage
mechanischer Reizung und Reibung beruhte. Es war das Endprodukt enger
körperlicher Berührung, eine Frage von Rhythmus und Tempo und der Affinität
geschlechtsverschiedener Schleimhäute.
Und nun lernte sie die hektische
Orgiastik kennen, höchste Lust, eingeschlossen in ihre Arbeit, nicht ein
Appendix, eine geduldete oder gewünschte Begleiterscheinung ihrer jeweiligen
Berufsausübung. Hier war etwas wie eine drahtlose Verständigung, eine Hingabe
ohne Körperberührung, ohne Penetration, eine Preisgabe ohne Selbstaufgabe, eine
Besitznahme ohne okkupierende Hände, ohne saugenden Mund, ohne das eindringende
Glied: ein Orgasmus sozusagen aus galaktischem Raum herbeigeführt, empfangen
nicht von Körperzellen, sondern direkt von einem Sensorium des Gehirns...
Der elternlose Heimzögling, das
Nähmädchen, das Mannequin, das Reklamemodel fühlte endlich
Selbstverwirklichung, Selbstbestätigung und Ichfindung — ohne Guru, ohne Medidation
und Yoga im Lotossitz, ohne endlose Monologe auf einer Psychiatercouch. Auch
wenn die Bildthematik mit ihrer Expressivität immer eindeutigere Zielsetzung
annahm — Swantje störte das nicht, im Gegenteil: das automatische Klicken der
technisch vollendeten Kameras, erotischen Stromstößen gleich, löste nicht nur
die Belichtung des Filmes aus, sondern auch die Explosion ihres Lustgefühls.
Doch war nur folgerichtig, daß
nach dem gnadenlosen Gesetz des Marktes, aber auch nach dem Gestaltungswillen
Ians, der solistische Akt, die monologische Darstellung des Körpers in Begierde
und Liebessehnen, Wunsch und Erfüllung auf die Dauer nicht genügte.
Anfänglich diente Ians massive
Gestalt selbst zur Imagination eines Partners, zuerst in Form eines Schattens
oder einer Silhouette, doch erwies sich der seelenlose Selbstauslöser als mangelhafter
Ersatz für einen in sekundenschnelle intendierenden Lichtbildner. Unbefriedigt
von der mangelhaften Bildkomposition trat zum Aktbild und Aktporträt
zwangsläufig der Partner oder die Partnerin: namenlose Gesichter, bezugslose
Körper, gleichgültige Figuration.
Die Situation wurde dadurch
grundlegend geändert. Anstelle der magischen Kopulation zwischen Modell und
Künstler, diesem schöpferischen Begattungsakt, trat das »Arrangement«, die
Künstlichkeit, aber auch jene Realistik, die der Konsumkunde befahl. Der Zauber
war gebrochen, die Partner wurden nicht zur Partnerschaft und Swantje schien
es, als erstarre sie zu der Gliederpuppe eines pornologischen
Wachsfigurenkabinetts, die gezwungen ist, im Stillstand zu verharren, wo es
letztlich doch auf bewegten Ausdruck ankam. Intimste Stellungen waren
einzunehmen, sorgfältig so angeordnet, daß man ihre Fingiertheit nicht erkennen
konnte. Fremde Körperteile waren so deutlich sichtbar anzufassen, daß der
zärtliche Zauber der Berührung unweigerlich verloren ging. Dies alles erinnerte
sie an ein Reklameplakat für deutsches Frischobst, bei der das hübsche Mädchen
mit schwellenden Lippen die lockende Kirsche für alle Ewigkeit vor dem
geöffneten Mund hielt, bis das gepriesene Kernobst auf der Litfaßsäule in der
wechselnden Witterung so verrottete wie das erwartungsvolle Gesicht der
Verzehrenden.
Das stundenlange Einhalten von
Positionen, die keinen Ausdruck verrieten, nur Inhalte vermittelten, war so
ernüchternd, daß sich der Wunsch nach endlichem Vollzug des Vorganges erst gar
nicht einstellte. Mit einem flüchtigen »Tschüß« und ohne Händedruck ging man
auseinander. Eine solche »Séance« war weniger anregend als eine Anprobe beim
Schneider.
Swantje tat nichts gegen die
eintretende Entfremdung von ihrem Starfotografen. Als er auf eine Fotosafari
nach Afrika ging, begleitete sie ihn nicht, sondern leistete der Einladung
eines alternden Playboys Folge, den sie flüchtig kennengelernt hatte. Sie flog
nach St. Tropez.
Sie war als Playgirl und »ständige
Begleiterin« hochwillkommen.
Doch können wir über dieses
Kapitel im Erfolgsleben Swantjes rasch hinweg gehen. Es war kurz und
inhaltslos. Sie galt nicht als eine der vielen namenlosen Giraffen, die in St.
Tropez weideten, das lange nicht mehr das war, was es sein wollte: die
Realisation der Utopie eines reichen, versnobten Schlaraffia voll Dekadenz und
Degagiertheit, das sich Jugend und Schönheit beim deutschen Mädchenwunder und
bei den Papagallos
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