Das Filmbett
ein
Tänzer. Die Mädchen unterschieden sich natürlich von denen ihrer Truppe. Sie
trugen nicht den Tanzkittel und die Tanzschläppchen oder gingen barfuß, wie es
der moderne Tanz seit Isadora Duncans Zeiten forderte, sie hatten aber auch
nicht den Tutu an, sondern staken in alten, vielfach geflickten Beintrikots und
Trikotleibchen und darüber hatten sie noch, um die Muskeln vor Erkältung oder
Zug zu schützen, zerfledderte, grob gestrickte Beinstutzen, ramponierte
Wollröhren für den einen oder anderen Schenkel. An den Füßen allerdings sah man
die abgetanzten, schmutzig gewordenen Spitzenschuhe.
Alles sah wenig nach einem
glänzenden »Ballet blanche« aus, es fehlten den Mädchen die Krönchen und
Diademe, die die Abzeichen der Solistinnen und Koryphäen sind. Sie trugen lange
Haare mit strengem Madonnenscheitel und hinten zu einem festen Knoten gebunden.
Es roch nach dem schönsten Parfüm dieser Welt (für Blanche jedenfalls), nach
Arbeitsschweiß und Eau de Cologne, nach Mastix und Schminke (oder bildete sie
sich letzteres nur ein?), und das triste Aussehen dieser schwer arbeitenden Menschen
stand in einem schroffen Gegensatz zu der Eleganz des modernen,
lichtdurchfluteten Saales. Aber Blanche wußte, daß das, was hier mit Schweiß
und Tränen erarbeitet wurde, eines Abends im Licht der Rampen in strahlendem
Glanz erscheinen und zu einem Fest der Sinne werden würde.
Sie kannte das zur Genüge. Hier
wurde ihr nichts Neues geboten. Oder doch?
Da war dieser Tänzer, zweifellos
ein Russe mit seinem breiten, slawischen Gesicht und den hochgezogenen
Backenknochen, den etwas schräg gestellten Augen. Ein Mann, sagte sie sich, das
ist ein Mann. Von kräftigem Körperbau, aber wohlproportioniert — was man so
selten fand. Er war im Ganztrikot, man konnte seine prachtvollen Muskeln sehen,
die breiten Schultern, die schmalen Hüften. Da war nichts Effeminiertes, wie
sonst bei den meisten Danseurs nobles, nichts Weibisches in Haltung und Gebaren
— das war ein Mannskerl, der kräftig auf der Erde stand, und man konnte sich
nicht vorstellen, daß soviel kompakte Maskulinität sich vom Boden lösen könne.
Aber als er dann sprang, Gott, wie konnte er springen... Mit federnder
Schnellkraft durchteilte er den Raum in der Luft, die Sprunggelenke waren ein
Wunderwerk menschlicher Anatomie — wie eine Rakete schoß er in die Höhe,
wirbelte dabei um die eigene Achse und seine Entrechats waren schlicht
phantastisch. So etwas hatte sie noch nie gesehen und, sie mußte es zugeben,
auch nicht für möglich gehalten. Das war alles andere als das zickige
Ballettgehopse, wie sie es kannte.
Sie wollte den gewaltigen Eindruck
beiseiteschieben mit der Feststellung, daß das hier eben Artistik sei, reine
Akrobatik, Zirkuskunst, aber dann war plötzlich die ganze virtuose Bravour auf
einmal ausgelöscht, weil in der Abfolge der obligaten Schritt- und
Bewegungsformen eine Ausdruckskraft einschoß, die nichts mehr mit dem üblichen
Ballettgetändel zu tun hatte. Hier wurde die leere, abgeschlissene Pose
verlebendigt zu einem blutvollen Dasein und So-sein. Blanche war gebannt und so
hingerissen, daß sie nichts anderes im Saal mehr wahrnahm, sie sah nur ihn, ihn
und wieder ihn, und merkte gar nicht, daß die Meisterin das Exercise längst
beendet hatte.
Sie kauerte noch mit großen
Kinderaugen, als diese bereits mit Mericia im Gespräch war. Und als sie Madame
Dershinska vorgestellt wurde, schoß sie vom Boden hoch, und ganz unbewußt, ja
wider Willen — aber nicht widerwillig — , küßte sie die ihr dargereichte Hand
und machte einen tiefen Knicks — wie es Brauch war und die Sitte es befahl.
Du hast dich benommen wie das
beschissenste, rotznäsigste Ballettmädel, ärgerte sie sich innerlich — das ist
schmähliche Kapitulation, die Übergabe von Breda und so... Sie hörte gerade
noch, daß Madame enchanté sei, auch einmal eine Kollegin von der »anderen
Fakultät« kennenzulernen (es war ganz ohne Ironie gesagt), und daß sie ihr
gerne ihren Übungssaal zum Exercise — pardon — pour le training naturellement —
, zur Verfügung stelle, und sie bemerkte — wie durch einen Nebel — eine
Blanche, die dankend diese Einladung annahm.
Wieder im Auto.
»Du bist ein Luder!«
»Das bin ich meinen roten Haaren
schuldig. Aber wieso eigentlich im speziellen Falle?« — Mericia war sichtlich
vergnügt.
»Mich hierher zu verschleppen.«
»Du schienst beeindruckt. Ich
denke, es hat dir gefallen?«
»Es? Er hat mir
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