Das Filmbett
diesem unendlich großen Ersterben in Lust, diesem Vergehen in einer süßen Ohnmacht der Schmerz des verletzten Fußes, um den man sich nun allgemein bemühte, mit fachkundigen Händen den lindernden Umschlag, routiniert eine Bandage anlegte. Aus der leichtfüßigen Nymphe war zwar ein humpelnder Invalide geworden, aber das noch nie erfahrene Glücksgefühl hatte aus einer kecken, vorwitzigen Prinzessin Naseweis einen jungen Menschen gemacht, dem - unerwartet und darum um so überraschender - eines der mythischen Geheimnisse des weiblichen Körpers erschlossen worden war.
Mit Training und Exercise war es jetzt natürlich vorerst vorbei, und doch zog es sie jeden Tag in das Tal der Verzasca, dem wilden Herzen des Tessins, auch wenn sie nur Zuschauerin blieb oder, auf die Schulter Gregors gestützt, durch den romantischen Ort humpelte, wo sie auf dem malerischen Friedhof, dem schönsten der Welt, vor der silbrigen Silhouette des Gambarogno, den ersten scheuen Kuß Gregors empfing.
Aber es gehörte auch zu den schönsten Augenblicken ihres so jungen Lebens, wenn sie mit dem gesunden, untergeschlagenen Bein, das verletzte sorgsam auf einen Hocker gelegt, in »ihrem« Stuhl saß, der schon einmal, bei jener denkwürdigen Party, ihr Zufluchtsort gewesen war, an einem Glas Tomatensaft nippte, dem ein Schuß Wodka Würze gab, und still zuhörte, wenn Al ihr aus seinem gescheiten Buch vorlas, das den sonderbaren Titel »Fug und Unfug des Tanzes« tragen sollte.
Sie waren jetzt wie Bruder und Schwester, die besten Freunde, und doch verspürte sie ein merkwürdig prickelndes Gefühl und auch eine Regung von Treulosigkeit, wenn die zarten Gute-Nacht-Küsse immer länger dauerten, die kameradschaftliche Umarmung an Festigkeit gewann und sie sich ihr nur mit sanftem und bedauerndem Widerstreben entziehen konnte.
Wie gut, daß Al nichts von ihren Ausflügen in das Verzasca-Tal wußte. Es war ihr ureigenstes Geheimnis.
12
Die feste Bandage war einem lockeren Verband gewichen, sie hatte wieder ein leichtes Training aufgenommen (oder war es ein Exercise?), und die Küsse Gregors waren beileibe nicht zur Gewohnheit geworden, sondern hatten im Gegenteil an Intensität gewonnen, und das war auch gut so, denn ihre Ferien neigten sich langsam dem Ende zu ...
Sie fühlte sich zunehmend in einem Zwiespalt - der aber jäh behoben wurde, als sie eines schönen, eines sehr schönen Tages von Gregor die etwas verlegen und stockend vorgebrachte Einladung erhielt, am nächsten Abend zu ihm zu kommen, in ein altes Bauernhaus, das er bewohne, und -wenn sie Lust habe - die Nacht dort zu verbringen.
Diese mit viel ungeschickten Worten vorgebrachte Invitation, absolument sans façon, and without any official ceremonity, war deutlich, und ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie konnte sich nicht täuschen. Sie war sicher, daß es dabei nicht -wie in so vielen Nächten, die Tänzer miteinander verbrachten - bei endlosen Fachgesprächen an russischen Samowaren und staubigem Gebäck bleiben würde. Die Nacht des seligschrecklichen Rituals war endlich gekommen - »le sacre du printemps«, schoß es ihr durch den Kopf -, das große festliche Frühlingsopfer, das blutige Opfer ihres Lebensfrühlings stand nun endgültig bevor. Ihre nervösen Schauer, diese Mischung erwartungsvollen Glücksgefühles und mythischer Angst, waren begreiflich - sie fühlte Al gegenüber in gewisser Hinsicht ein schlechtes Gewissen -, und infolgedessen kam es am Vorabend des großen Ereignisses aus nichtigem Anlaß zu einem Riesenkrach, der längst verheilte Gegensätze wieder aufriß.
In der Nacht packte sie abermals ihre Sachen, vergaß nicht den Regenschirm der Tante zwischen Koffer und Lederriemen zu vertäuen, legte ihr bestes Sommerkleid heraus und schrieb Al einen Brief, den wir wegen seiner reizvollen Verwirrtheit dem Leser nicht vorenthalten werden, hatte dann eine unruhige Nacht und verließ frühmorgens zum zweitenmale klammheimlich diese Wohnung, nahm das erste Postauto, deponierte ihr Jungmädchengepäck in der »Académie de danse« und wanderte, der Stunde der Wahrheit entgegenfiebernd zwischen Glückseligkeit und Bangen, durch die vitriolgefärbten Weingärten Mergoscias. Der Brief aber, den AI am Morgen fand, lautete:
Lieber Al,
ich war ein junges Mädchen, das suchend auf dem Weg war, aber ist Suchen nicht der ewige Auftrag eines jeden Menschen? Ich war ein störrisches Maultier, das im Nebel suchend seinen Weg finden wollte, im Lande, wo im dunklen Laub die
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