Das Filmbett
sitzen. Ich weiß nichts Genaues, bin ja seit Monaten nicht in Berlin gewesen ...«
»Vielleicht kann ich ihr helfen«, sagte sie etwas rätselhaft, »erzähl mir von Goebbels.«
»Dein Freund, ich weiß«, sagte ich und erzählte ihr alles, was ich erfahren hatte von Frauen, deren Vertrauen ich genoß, und die mir glaubwürdig berichteten, was sie mit dem vielgehaßten »Doktor« erlebt hatten, die tolle Geschichte der reizenden Rotraut Richter, die sich seinen Wünschen entzog, in dem sie betont verwahrlost bei ihm erschien und sein Angebot, ihr beruflich zu helfen, abschlägig beschied, da sie alles habe, Vertrag, Freund, Auto, Reitpferd etc. und die, da er sie unbedingt mit etwas beglücken wollte, sich schließlich von ihm den schlachtreifen Schinder Gravelotte schenken ließ, der ihr Partner beim letzten Film »Das Veilchen vom Potsdamerplatz« gewesen war, damit er in ihrem Stall das Gnadenbrot bekäme und nicht zum Abdecker müsse ... Und wie er auf seine Frage, was denn das kosten würde, und auf ihre kecke Antwort: ›]a, ick denke, so 500 Märker müssen Se schon hinblättern, Herr Reichsministen, angewidert fünf Hundertmarkscheine aus seiner Brieftasche zog, sie ihr hinwarf, womit sie zwar ihn, aber auch ihre Karriere los war ... »Sie tingelt jetzt bei der Truppenbetreuung herum ...« Oder die Anekdote einer anderen Schauspielerin, die mit einem eingegipsten Bein und einer Krankenschwester zum Rendezvous erschien ... die Abenteuer weniger skrupelhafter Kolleginnen, die sich nicht über seine Potenz, aber über seine körperliche Beschaffenheit mokierten ...
Die Rituale bei seinen Amouren, der Wagenwechsel an einem bestimmten Kilometerstein der Autobahn, wenn es sich um sein heimliches Liebesnest handelte, die immer wieder gleichen Zeremonien beim privaten Empfang einer Auserwählten im Propagandaministerium ... Wie dann nach dem kleinen Abendimbiß erst die Hausdame verschwand, dann der Adjutant abberufen wurde ... wieviel Zeit verging, bis er das gedeckte Tischchen verließ, mit wie wenigen Schritten er den Flügel erreichte (sein Fuß!), welche Stelle der Mondscheinsonate er dann auswendig spielte, wie er - gedeckt hinter dem Flügel herumgehend - bequem den vorbereiteten Lederband greifen konnte, um Hölderlins Gedicht über den Krieg vorlesen zu können, um anschließend wiederum mit nur wenigen Schritten bei der Favoritin des Abends zu sein, um sie in den Arm zu nehmen und den ersten Zungenkuß zu versuchen ... ein Zeremoniell, das mir in gleichlautenden Versionen dreimal bestätigt wurde ... und vieles mehr ...
Sie lachte und kicherte, warf hier ein »c'est impossible«, da ein »incroyable« ein, und wollte immer wissen, ob das Unglaubliche wirklich wahr und nicht nur Tratsch wäre. Ich bemerkte, wie sie zwischendurch tief ernst wurde, aber nicht, wie sie mit angestrengten Stirnfalten versuchte, sich jedes einzelne Detail gewissenhaft einzuprägen.
Ich mußte - wegen der Ausgangssperre - bis zum frühen Morgen bleiben und war glücklich darüber. Ich wollte ihr meine Lebensmittelmarken aufdrängen, aber sie wies sie zurück und meinte, sie wäre ausreichend versehen. Sie sagte, wie zum Spaß: »Ach, weißt du, ich lasse mir immer welche drucken.« Ich lachte.
»Hörst Du eigentlich gelegentlich ausländische Sender, Feindsender heißt es wohl amtlich?« fragte sie. Ich sagte, ich täte es, wenn ich meiner nächsten Umgebung sicher sei.
»Der Soldatensender Calais ist oft recht amüsant«, sagte sie beiläufig, »besonders immer am Freitag abend.«
Das herzlich improvisierte Frühstück, der Abschied, nicht ohne tiefe Bewegung, ging ohne große Worte vonstatten. Ich fuhr direkt zu meinem Aufnahmeplatz. Erwähnenswert ist nur - es war kein Zufall -, daß ich aus einer unbewußten Neugierde eine Gelegenheit suchte und fand, um gefahrlos den verbotenen Sender am nächsten Freitag zu hören. Da wurde höhnisch Dr. Goebbels' Liebesleben in die Mangel genommen, sehr geschickt und sehr glaubwürdig, und nur namentlich der Fall der jungen Schauspielerin erwähnt, die unschuldig in einen Hochverratsprozeß verwickelt wurde,
weil Goebbels Rache für sein verletztes Selbstgefühl als Mann nehmen wollte.
Als ich kurz darauf in Berlin war, erfuhr ich, der Reichsfilmdramaturg habe den sofortigen Einsatz der Schauspielerin befohlen, um der lügenhaften Feindpropaganda die Wahrheit entgegenzusetzen.
Die Herren versammelten sich wieder im Salon, die Drehbuchbesprechung wurde wieder aufgenommen. Die
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