Das Filmbett
Selbstbestätigung und Ichfindung - ohne Guru, ohne Medi-dation und Yoga im Lotossitz, ohne endlose Monologe auf einer Psychiatercouch. Auch wenn die Bildthematik mit ihrer Expressivität immer eindeutigere Zielsetzung annahm -Swantje störte das nicht, im Gegenteil: das automatische Klicken der technisch vollendeten Kameras, erotischen Stromstößen gleich, löste nicht nur die Belichtung des Filmes aus, sondern auch die Explosion ihres Lustgefühls.
Doch war nur folgerichtig, daß nach dem gnadenlosen Gesetz des Marktes, aber auch nach dem Gestaltungswillen Ians, der solistische Akt, die monologische Darstellung des Körpers in Begierde und Liebessehnen, Wunsch und Erfüllung auf die Dauer nicht genügte.
Anfänglich diente Ians massive Gestalt selbst zur Imagination eines Partners, zuerst in Form eines Schattens oder einer Silhouette, doch erwies sich der seelenlose Selbstauslöser als mangelhafter Ersatz für einen in sekundenschnelle intendierenden Lichtbildner. Unbefriedigt von der mangelhaften Bildkomposition trat zum Aktbild und Aktporträt zwangsläufig der Partner oder die Partnerin: namenlose Gesichter, bezugslose Körper, gleichgültige Figuration.
Die Situation wurde dadurch grundlegend geändert. Anstelle der magischen Kopulation zwischen Modell und Künstler, diesem schöpferischen Begattungsakt, trat das »Arrangement«, die Künstlichkeit, aber auch jene Realistik, die der Konsumkunde befahl. Der Zauber war gebrochen, die Partner wurden nicht zur Partnerschaft und Swantje schien es, als erstarre sie zu der Gliederpuppe eines pornologischen Wachsfigurenkabinetts, die gezwungen ist, im Stillstand zu verharren, wo es letztlich doch auf bewegten Ausdruck ankam. Intimste Stellungen waren einzunehmen, sorgfältig so angeordnet, daß man ihre Fingiertheit nicht erkennen konnte. Fremde Körperteile waren so deutlich sichtbar anzufassen, daß der zärtliche Zauber der Berührung unweigerlich verloren ging. Dies alles erinnerte sie an ein Reklameplakat für deutsches Frischobst, bei der das hübsche Mädchen mit schwellenden Lippen die lockende Kirsche für alle Ewigkeit vor dem geöffneten Mund hielt, bis das gepriesene Kernobst auf der Litfaßsäule in der wechselnden Witterung so verrottete wie das erwartungsvolle Gesicht der Verzehrenden.
Das stundenlange Einhalten von Positionen, die keinen Ausdruck verrieten, nur Inhalte vermittelten, war so ernüchternd, daß sich der Wunsch nach endlichem Vollzug des Vorganges erst gar nicht einstellte. Mit einem flüchtigen »Tschüß« und ohne Händedruck ging man auseinander. Eine solche »Seance« war weniger anregend als eine Anprobe beim Schneider.
Swantje tat nichts gegen die eintretende Entfremdung von ihrem Starfotografen. Als er auf eine Fotosafari nach Afrika ging, begleitete sie ihn nicht, sondern leistete der Einladung eines alternden Playboys Folge, den sie flüchtig kennengelernt hatte. Sie flog nach St. Tropez.
Sie war als Playgirl und »ständige Begleiterin« hochwillkommen.
Doch können wir über dieses Kapitel im Erfolgsleben Swantjes rasch hinweg gehen. Es war kurz und inhaltslos. Sie galt nicht als eine der vielen namenlosen Giraffen, die in St. Tropez weideten, das lange nicht mehr das war, was es sein wollte: die Realisation der Utopie eines reichen, versnobten Schlaraffia voll Dekadenz und Degagiertheit, das sich Jugend und Schönheit beim deutschen Mädchenwunder und bei den Papagallos Italiens ausborgte.
Da vereinigte sich der neureiche Gründerkapitalismus des Wirtschaftsbooms mit den karrieresüchtigen germanischen Blondinen der Via Veneto, die heruntergekommenen Restbestände internationalen Hochadels mit der ausgeflippten Prominenz des einstigen Hollywood, die infarktgefährdeten Lebegreise der Beau monde mit den aufstiegswilligen Wohlstandsnutten beiderlei Geschlechtes aus dem Untergrund, die juwelenbehängten Witwen im Besitz der Aktienmajoritäten mit den Nichtstuern aus den korrupten italienischen Honoratiorenfamilien der Provinz, den »Vitellonis« und den latin lovers aus dem Mezzogiorno, die nicht viel mehr als Strichjungen waren - sie alle vereinigten sich zur Ausverkaufs- und Wegwerfgesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte, die sich Jet-set nennt.
Swantje war hier jemand. Eines der besten und opulentesten Fotobücher war herausgekommen, mit ihr als einzigem Inhalt, und zu einem Buchhändlererfolg geworden. Man konnte da, bis aufs kleinste Härchen, ihre intimsten Seiten Seite für Seite auf Kunstdruckpapier
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