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Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthologie
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mehr geschenkt hatte, seit sie als Nähmädchen ihre Freizeit mit Gitarrengeklimper verkürzt hatte.
    Es stimmt nicht, daß ihr Erfolg mehr der Physis ihres Körpers als der Qualität ihrer Stimmbänder zuzuschreiben war, doch ergab zweifellos ihre optische Erscheinung mit dem akustischen Phänomen ihres Gaumensegels einen besonderen Reiz, der nicht nur der Rock-Jugend gefiel, sondern auch den älteren Generationen. Im glitzernden Goldtrikot war sie mehr als ein hüftenschwenkendes Go-Go-Girl, sie war ein echter Star, dessen Repertoire die Bandbreite von Kollo bis Brecht/Weill, von Blues bis Beat, von Pop bis Punk hatte. Und obwohl sie als Schauspielerin nicht mehr gezeigt hatte als die mittlere Begabung eines anstelligen Starlets, gewann ihr Gesicht bei der Interpretation jeglicher Musik soviel Ausdruck, daß von einer besonderen Persönlichkeit die Rede sein mußte. Als sie im Pariser Olympia gastierte, sprach man von einer Show-Königin, die über eine neonerleuchtete Hintertreppe auf die Revuebühne herabstieg, und traf damit ziemlich genau das ambivalente Spezifikum ihrer Darbietung: die ungewöhnliche Mischung proletarischen Charmes mit dem ordinären Gout verwahrlosten Establishments.
    Ihre attraktive, fotogene Erscheinung war natürlich für das Plattencover besonders geeignet, was das graphische Gewerbe, das den Multikonzernen der Unterhaltungselektronik diente, redlich auszunützen verstand.
    Und so war es paradoxerweise auch eine Hülle, die zur letzten Hürde auf der obersten Sprosse ihrer steilen Karriere wurde. Denn die Hülle zeigte sie hüllenlos und das rief die Fernsehsender beziehungsweise deren Intendanten, Fernsehräte und Funktionäre auf den Plan. Die Anstalten - wie immer zu spät am Ball, zu spät informiert - wurden von der hüllenlosen Plattenhülle kräftig geschockt, als man sich gerade anschickte, mit dem neuen Showphänomen die eigene Programmöde zu düngen. Es gab Stunk. Man erregte sich zweifach: vor Entsetzen und vor Vergnügen. Die Meinungen gingen auseinander, weil man dasselbe meinte. Die einen behaupteten, man wäre schließlich nicht mehr in der pingeligen Adenauerära, in der eine Fernsehkamera, die aus der Froschperspektive die Evolutionen einer Cancantänzerin abtastete, beim Programmdirektor mehr Entrüstung hervorrief, als Jahre später in Hollywood eine ganze Cancantruppe bei Herrn Chrustschow; die anderen waren der Ansicht, daß auch eine freisinnige Gesellschaftsordnung sittliche Grenzen haben müsse. Wenn nichts mehr wog, wo blieb da die Ausgewogenheit. Ein Pornostar als Fernsehstar schreckte doch manchen Parteimann, der als Fernsehrat die ominöse Unterhaltungssparte argwöhnisch kontrollierte. Also neigte man dazu, vorgesehene Sendungen abzusetzen, in Produktion befindliche Shows zu stoppen, in Planung befindliche in die Schublade zu sperren, in der sich schon die indizierte Plattenhülle befand.
    Swantje ließen diese Querelen kalt. Sie war den Umgang mit den Herren, die das Sagen hatten, gewohnt. Nach dem strategischen Konzept ihrer defensiven Blitzkriege begann sie gleichzeitig an der Basis und an der Spitze der hierarchischen Pyramide tätig zu werden, ohne dabei ihre wesenseigene Passivität zu verleugnen. Sie schlenderte geschickt von allen Seiten an das Terrain der Hauptabteilung Unterhaltung und Musik heran. Sie gewann den herumwieselnden Schleicher Osmin wie den edelmütigen Bassa Selim, den gefährlichen Monostatos wie den würdevollen Herrn Sarastro, und hatte bald sowohl den Serail, in den sie entführt werden wollte, wie die Heiligen Hallen, in die sie einzutreten beabsichtigte, fest in ihrer Hand.
    Ihr logistischer Plan war bemerkenswert und soll nicht verschwiegen werden. Er war wie die kriegsphilosophischen Maximen des Freiherrn von Clausewitz klar, transparent und preußisch-kartesianisch. Er gipfelte in dem Satz, daß der Coi-tus die Fortsetzung der Karriere mit anderen Mitteln ist. Doch wollen wir, bevor wir uns mit den Grundlagen ihrer Taktik beschäftigen, ihren Sieg vermelden. Sie kam natürlich ins Programm - wenn auch zu später Sendestunde, bei der die Fernsehgewaltigen sicher waren, daß nicht nur ihre Kinder, sondern auch ihre ermüdeten Ehefrauen das Bett aufgesucht hatten. Dieser kluge Entschluß erfüllte einen doppelten Zweck. Die heranwachsende Jugend wurde sittlich geschützt und ihre moralische Gefährdung weiterhin der Straße überlassen, und man ersparte sich unter Umständen unliebsame Debatten mit argwöhnisch gewordenen

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