Das Filmbett
Ordnung. Ihr Leben ließ sich weiterhin ohne falsche Buchungen leicht bilanzieren. Weder heftige Liebschaften, sexuelle Abhängigkeiten, noch der Wunsch, mehr auszugeben als vernünftig war, brachten ihr Budget oder ihr Innenleben außer Balance. Und doch war sie in diesem aufzehrenden, aber lukrativen Beruf nicht glücklich. Sie zog sich gut an, machte sich aber aus modischen Dingen wenig. Sie aß zurückhaltend, um nicht an Gewicht zuzulegen. Ihre sexuellen Partner ergaben sich problemlos aus den beruflichen Umständen, aber ebensogerne schlief sie allein. Sie haßte das Aufgeben ihrer Persönlichkeit, um ein Kleid vorzuführen, dieses starre, maskenhafte Zurücktreten hinter einem kunstvoll arrangierten Textil, die menschliche Reduktion zum mechanisch sich bewegenden Kleiderständer, zur stoffbehängten Marionette. Sie wußte, daß jedenfalls sie kein Kleid vorführte, sondern sich in einem Kleid. Und daß das ihr eigentlicher Erfolg war.
Erst sehr spät kam die Direktion des Modehauses darauf, daß Swantje zwar die Herrenkundschaft vergrößerte, die der Damen hingegen eher frustrierte. Es gab hitzige Debatten in Konferenzen und Aufsichtsratssitzungen zwischen den bestimmenden und einflußreichen Herren der Tuch- und Tex-tilbranche, der Kunststoffhersteller und Kleiderfabrikanten einerseits und den Chefdirektricen mit dem Anhang von Mitarbeiterinnen andererseits. Die Männer, von denen manche Swantje besser kannten als die Damen, traten meist für sie ein, denn sie hatte sich brav bewährt und zu keinen Klagen Anlaß gegeben. Die Geschlechtsgenossinnen jedweder Rangordnung hingegen bezeichneten sie als Gefahr, ja als geschäftliche Schädigung. Schließlich siegten die Frauen und man zog sich von Swantje zurück, mit dem nicht ganz unzutreffenden Vorwand, ihre immer prachtvoller gewordene Figur entspräche nicht mehr den handelsüblichen Damengrößen.
Swantje gab diesen Beruf ohne Bedauern auf. Die eigene Person in der Garderobe zurücklassen zu müssen, um einen Fetzen Tuch, seinen Schwung, seinen Sitz und seinen Fall richtig zur Geltung zu bringen, erschien ihr stumpfsinnig. Sie war ein Mensch aus Fleisch und Blut und keines dieser Schattengewächse, denen der Dracula »Haute couture« und der Nosferatu »Pret-ä-porter« alles Blut ausgesogen hatte und die sich paradoxerweise durch Anämie, Rachitis, Muskelschwund und Auszehrung am Leben zu erhalten schienen.
Der nächste Berufswechsel vollzog sich ganz einfach - fast nur auf administrativem Wege: Die Agentur wechselte Swantjes Fotomaterial in seiner Plastikhülle aus einem Leitzordner in einen anderen. Ihr Name wurde in einer Liste gestrichen, in einer anderen eingetragen.
Aus dem Mannequin wurde ein Model - wobei die Betonung auf der ersten Silbe des Wortes liegt, was beachtet werden muß, wenn man »in« sein will. Ein Model ist kein altertümliches Modell, das seinen Körper ernsthaften und windigen Malern zum Abkonterfeien ausleiht oder in den Kunstakademien stehend posiert, um Studenten kostenlos über weibliche Anatomie zu belehren und sie zu künstlerischer Verarbeitung dieser Erkenntnisse zu veranlassen. Ein Model ist ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Werbeindustrie und damit in der Leistungs- und Verbrauchergesellschaft. Ein Model dient nicht nur als Covergirl dem täglichen oder periodischen Druckgewerbe als Blickfang am Zeitungskiosk, sondern ebenso dem Ruhme von Automarken und Karosseriedesignern; ohne Model sinkt der Absatz von Zahnpasta, Seifenpulver, Deodorants, Spülmitteln für familienfreundliche Wasserklos, aber auch von holländischem Käse oder Agrar-produkten aus deutschen Landen frisch auf den Tisch.
Ein Model ist ein integrierter Faktor der gesamten Volkswirtschaft und ihres Kreislaufes. Dazu braucht man allerdings einige Voraussetzungen von hoher ästhetischer Werbekraft: schlanke Beine, lange Schenkel, einen knackigen Po, dessen exakt richtiges Volumen man allerdings in deutschen Industrienormen (DIN) festzulegen bisher versäumt hat, hoch angesetzte Brüste, ein Delta, dessen sanfte Wölbung sich auch in kunstseidenen Nachthemden - diskret wohlgemerkt - markieren muß und - last not least - ein schönes Antlitz, das sich nach dem jeweiligen Zweck unschuldig oder mittelmäßig verrucht oder auch nur dümmlich zeigt.
Ein Model wird fotografiert, fotografiert und wieder fotografiert. Stundenlang, tagelang, stehend, liegend, sitzend, aufgestützt, vorgebeugt, kniend. Am nächsten Tag dasselbe zu einem anderen Behufe.
Weitere Kostenlose Bücher