Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Filmbett

Das Filmbett

Titel: Das Filmbett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthologie
Vom Netzwerk:
erstenmal in ihrem Leben Geldsorgen. Die Ersparnisse eines ganzen Lebens waren dahin. Sie blieb beim Film, aber sie wandte sich der anderen Seite zu. Sie verzichtete auf die Kunst und verkaufte sich dem Kommerz. Sie wurde ohne Schwierigkeit ein Star des Pornofilms. Sie war es ungern. Sie tat da etwas, was ihr widerlich war - nicht aus moralischen oder ethischen Gründen. Sondern weil dieses ganze Gebumse Tinnef war, unehrlich, unsolid, mies. Ob man Soft- oder Hardcore-Ware herstellte, d. h. ob der Geschlechtsakt fingiert und simuliert oder faktisch vollzogen wurde, ob der zufällige Partner, wenn er versagte, durch die Großaufnahme des Genitals eines Doubles ersetzt wurde - auf jeden Fall machte der Coitus unter den Zwängen der maximalen optischen Anschaulichkeit, der Interruptus, der durch Einstellungs- und Filmkassettenwechsel erzwungen wurde, die ganze Angelegenheit zur Farce. Publikum hätte Swantje nicht gestört, aber die stets sprungbereite Belegschaft im Studio verwandelte die Sexszenen zu einem chirurgischen Eingriff in einem OP. Man liebte sich schon im prüden Film von früher höchst unkomfortabel. Fotogene Filmküsse und Umarmungen wurden seit der Erfindung des Laufbildes immer in unbequemen Positionen ausgetauscht. Im Porno aber war jeder Sexakt weniger eine geschlechtliche als eine artistisch akrobatische Nummer.
    Swantje hätte sich ihrer Darstellungsaufgabe-gelegentlich - mit Einsatz gewidmet. Das eine- oder anderemal war ihr der Partner nicht unangenehm. Aber man ließ sie ja nicht. Man dirigierte sie, gab ihr das Tempo vor, befahl ihr Stellungs- und Rhythmusveränderung, und vor allem bat man sie, sich die Haare unaufhörlich aus dem Gesicht zu streichen, damit z. B. bei Fellatio ihre orale Betriebsamkeit an den mühsam zu Stande gekommenen Herren durch Sichtbehinderung nicht unwirksam wurde. Alles war Routine, Klischee, nichts Inspiration. Das ad-lib-Agieren durfte die beschränkten Raum-, Zeit- und Lichtgegebenheiten des Aufnahmeortes nicht außer acht lassen. Der Zwang, demonstrativ in und für die Kamera zu spielen, versetzte Swantje so oft in Rage, daß sie ganze Szenen schmiß.
    Als sie wieder einmal durch die Anweisungen ihres Regisseurs irritiert wurde, der sie anfeuerte und kommandierte, wie es vielleicht ein Fußballtrainer mit seiner Vereinself macht und mit sich überschlagender Stimme immer wieder »Expreschn« und »Äktschn« forderte und »Gib's ihm« und »Zeig's ihm« bellte, als er, um die Stimmung anzufachen, eine heiße Scheibe aus der Tonkabine ins Studio einspielen ließ und für gehörige Phonstärke sorgte, reagierte sie auf überraschende und völlig absurde Weise geradezu wahnwitzig rabiat, mit dem Resultat, daß sie sich gleichsam aus der bislang einzig praktizierten optischen Ausdrucksdimension heraussprengte und mit Aplomb in eine neue eintrat. Während sie ihren Partner mit ihren Beinen fest umklammert hielt, fiel sie mit ihrer vollen Stimme - von der bisher noch nie die Rede war - in die Rockmusik ein und improvisierte wie ein versierter Pop-Profi die ganze LP im Free-Jazz-Stil, kunstvoll wie Janis Joplin, und wackelte dabei ihren Partner mit den obszönen Körperbewegungen eines Mike Jagger derart ab, daß dieser seine längst fällige Lustlösung erlebte und das ganze Studio zu applaudieren begann.
    Es ist im Schaugeschäft nicht selten, daß ein Star beim Beischlaf entdeckt wird. Doch nach diesem verzweifelten Coitus Swantjes, sozusagen »in Concert«, konnte man mit Recht sagen: »A star is born!«
    Diese Szene machte einen höchst mittelmäßigen Porno zu einer Sehenswürdigkeit und die neue musikalische Interpretation dieser längst vergessenen Platte zum sensationellsten Hit der elektronischen Musikbranche.
    Swantje sah sich unvermittelt als Nummer 1 auf allen Hitlisten. Die Mafia des Pornofilmgeschäftes, die von keinem Godfather, also von keinem Paten, sondern von einer Patin geleitet wurde, einer deutschen Kauffrau von erheblicher Tüchtigkeit, entließ sie ungerne, aber in Frieden. Swantje wurde von der weit härteren Musikmafia vereinnahmt. Sie erlebte das Tauziehen um Single und LP, Platte oder Kassette, geriet in die erbitterten Nahkämpfe um Texter und Komponisten, um Manager und Musikkonzerne, Bandleader und Orchesterchefs, um Tourneeleiter und Konzerthallenbesitzer, um Lizenzen und Royalities, Urheberrechtsanteile und Gemaprozente, und bestand alles dank dem eigenartigen Timbre ihrer schönen, vollen, etwas rauchigen Stimme, der sie keine Beachtung

Weitere Kostenlose Bücher