Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Leiden des Herrn mit alltäglichem Werkzeug in vierzehn Stücke Holz zu bannen. Aber gerade die Derbheit der Schnitzerei, ihre ungeschliffenen Kanten, langen, tiefen Fahrer und die manchmal an glücklicher Stelle erscheinenden, zufällig einen Teil des Dargestellten formenden Unebenheiten des Holzes machten in diesen Tafeln die rohe Brutalität des Gezeigten greifbar. Bei der Kreuzigung selbst schienen die verrenkten Muskeln und Sehnen der gemarterten Glieder, das schmerzverzerrte Gesicht geradezu herauszuwachsen aus dem Holz, und in die Hände und Füße des ausgezehrten Heilands hatte der unbekannte Künstler in grausiger Inspiriertheit wahrhaftige kleine, kantige Eisennägel getrieben, die dem Holz als Spalten aufklaffende Wunden zugefügt hatten.
Greider hatte nun schon einige Sonntage Gelegenheit gehabt, diese Kirche und ihre drückende Atmosphäre kennenzulernen. Denn seine Gastgeberin hatte ihn – nachdem sich der erste Argwohn über seine Anwesenheit im Tal gelegt hatte – schon öfters eingeladen, sie am Tag des Herrn zur Messe zu begleiten. Und er hatte dieses Angebot stets angenommen,auch wenn die Gaderin sich mit ihm immer möglichst abseits an den Rand einer der hinteren Bankreihen setzte – ohne damit manch abschätzigen Blick verhindern zu können – und sich nie jemand herabließ, ein Wort mit ihm zu wechseln. Er fand es wohl notwendig, dem Dorf den Beweis zu erbringen, kein Unchrist zu sein.
An diesen Sonntagen hatte Greider auch jedes Mal Gelegenheit gehabt, die Ursache für die seltsame Stimmung an diesem Ort der Gottesherrlichkeit zu erleben: den irdischen Herren dieses Hauses des Herrn. Breiser war ein beeindruckender Mann. Selbst die gestandensten Kerle im Tal vermochten nicht, sich seiner Wirkung zu entziehen. Denn sein grobschlächtiger Körper wies ihn als einen aus, der hingehörte in die rauhe Welt hier oben – einen, der es mit ihnen aufnehmen könnte, wenn das Undenkbare eintreten sollte und er seine Meinung mit mehr als Worten durchsetzen müsste. Zugleich aber wussten sie, dass sein Geist dem ihren weit überlegen war. Und beides zusammen gab Breiser eine natürliche Autorität, die selbst den Halsstarrigsten, Aufmüpfigsten seiner Gemeinde Respekt abforderte und viele Obrigkeitsfürchtige regelrecht einschüchterte – noch bevor überhaupt in Betracht gezogen war, dass er zudem seine Sendung auf Erden keinem Geringeren verdankte als dem Höchsten.
Er war ein kräftiger, im Alter etwas untersetzt gewordener Mann, dem Priesterrock und Messgewand immer leicht fremd am Leib saßen; dessen fleischige, behaarte Hände, dessen knochiger, von kurz geschorenen, weißgrauen Haaren bekränzter Kopf mit den harten Augen und den überraschend vollen Lippen zu viril, zu animalisch hervorschauten aus solch heiliger, unmännlicher Kleidung. Es war ein Körper, von dem man vermutet hätte, dass er sich bei kraftvoller Arbeit wohlfühlen würde. Und zeigte sein Körper auch Spuren des Alters, ließen ihn diese nur noch zäher erscheinen, alswäre auch die letzte Weichheit aus ihm herausgegerbt – wobei auch sein Blick, seine Zunge im Lauf der Jahre immer unversöhnlicher und schärfer geworden waren.
Breisers Art zu sprechen, zu predigen, entbehrte jedoch jeder Theatralik – er war nicht einer jener Pfarrer, die mit ausladenden Gesten und donnernder Stimme die ewige Verdammnis beschworen, dass es den Leuten Schauer über den Rücken jagte, die manche insgeheim als durchaus wohlig empfanden. Die Vehemenz von Breisers Rede lag ganz in ihrer Direktheit, in ihrer bestimmten Gradlinigkeit, die keinen Ausweg ließ und keinen Widerspruch duldete. Breiser war ein so gebildeter wie kluger Mann, der seine Studien durchaus ernst genommen und sie mit Erfolg betrieben hatte. Er hatte seine Stelle hier oben in der rauhen Gegend bei den einfachen Leuten nicht, weil er einer von ihnen war – oder weil man ihn für einen anderen, zivilisierteren Ort nicht für gut genug befunden hätte –, sondern weil es ihm gefiel hier. Sein Geist hatte nichts von der Grobheit seines Äußeren, er war geschliffen und fein. Und auch wenn seine Worte manchmal fast derb waren in ihrer Direktheit, hatte die Stimme, mit der Breiser sie vortrug, doch eine Art von Musikalität, die ihr Eindringlichkeit verlieh.
Je näher Weihnachten sich genähert hatte, je mehr hatte Greider darauf gewartet, dass diese Stimme und das, was sie sagte, wenigstens etwas Weichheit, Sanftheit finden würden. An jedem der Adventssonntage war diese
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