Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
durchdringenden bläulichen Graus waren, immer weiter voneinander getrennt, bis endlich die Sonne selbst über den Bergkamm kam. In ihren Strahlen wurde der Schnee gleißendund die Landschaft schien nun mit einer harten Schicht feiner Spiegelkörner überzogen.
Jeder Blick auf die freien Flächen stach in den Augen, und so froh Greider und sein Tier nach solch langem Ritt durch beißende Kälte über die flüchtige, aber intensive Wärme des Sonnenlichts waren, sosehr fanden sie es doch erleichternd, aus der peinigenden Helle in den Halbschatten eines Waldstücks einzutreten. Selbst jetzt, wo es auf Mittag zuging, herrschte dort ein majestätisch-gelassenes Zwielicht, ein gefilterter Dämmer blieb als matter Abglanz der Sonnenhelle, so wie manche von Klippen geschützte Höhle am Meeresstrand ein Gewässer beherbergt, das die tosenden Wellen und Fluten des Ozeans draußen nur durch ein mildes Steigen und Fallen seines Pegels erahnen lässt. Und nicht nur das Licht schien hier gedämpft und gemildert, auch die Geräusche bekamen einen sanfteren Klang. Still war es schon zuvor im Tal, aber die Stille hier zwischen den schwarzen Stämmen war intimer. Es war die Stille eines schützenden Raumes, der alles Ertönende schnell in eine erstickende Umarmung nimmt und auf den weichen Boden niederringt, bevor es weit dringen kann.
Dumpf war hin und wieder das Niedergehen einer Schneemasse zu hören, die schwer von einem Ast geglitten war. Hart, mit mitleidlosem Nachhall krachte es, wenn irgendwo ein Ast sich nicht rechtzeitig von der nassen Last hatte befreien können und barst. Nur einmal schien es, als käme ihm ein unregelmäßiges Echo seiner Hufschläge durch die Bäume entgegen. Doch grade war es fast so laut geworden, dass es die Schwelle zu einer sicheren Wahrnehmung überschritten hätte, da entfernte es sich wieder und verschwand.
Greider wusste, dass der Weg durch diesen Wald nicht allzu lange dauern konnte. Schon wie er auf das Gehölz zugekommenwar, hatte er dahinter mächtig die Bergwand aufragen sehen, die das Hochtal an diesem, seinem vom Zugang entferntest gelegenen Punkt abschloss. So hoch und steil ragte sie dort in den Himmel, dass die Sonne nur im Sommer für ein paar Mittagsstunden weit genug über deren Rand lugte, um den kalten Schatten zu verscheuchen, der dieses Felsbecken füllte. Wie ein Gürtel lag davor der Wald, lang gezogen, jedoch nicht tief. Nur ein paar Minuten war er im gemächlichen Trott seines Tieres geritten, da sah Greider den Weg vor sich sanft ansteigen, und er ahnte, dass hinter dieser Böschung das Ziel seines Ausflugs wartete. Und in der Tat bot sich ihm, nachdem der Maulesel die Kuppe hinaufgeschnauft war, sein erster Blick auf den Hof des Brenner Bauern.
Greider ließ sein Tier anhalten, stieg ab und führte es auf dem Kamm des Hangs entlang des Waldrands, ein Stück abseits von dem Weg, der hinabführte. Von hier hatte er eine wie für einen Maler geschaffene Sicht auf den dunklen Hof, doch bevor er sich genauer in dessen Anblick vertiefen konnte, forderte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. An dem Zaun aus groben, waagerechten Stämmen, der das Gut umgab, hatten sich am Durchlass des Weges sechs zu Pferd sitzende Männer aufgereiht. Es waren die Söhne des Brenner Bauern. Vielleicht hatten sie sich tatsächlich eben erst dort versammelt, hatten möglicherweise auf einen Nachzügler gewartet, bevor sie sich auf den Ritt in Richtung Dorf machten. Einige von ihnen hatten sich schließlich mit ihren Pferden halb zueinander gewandt, schienen etwas zu diskutieren. Und es mochte nur Ungeduld sein, dass die anderen sich so ausgerichtet hatten, dass sie den Weg entlangblickten, der Anhöhe und dem Wald zu.
Tatsächlich setzte sich nach einer Weile die kleine Karawanein Bewegung, denn es war einer der seltenen Tage, wo sich das vollzählige halbe Dutzend von ihnen in den Ort begab. Im Wirtshaus war eine Versammlung anberaumt – die Witwe Gader hatte es am Abend zuvor erwähnt –, bei der über wichtige Dinge für das bevorstehende neue Jahr beratschlagt werden sollte, über Landzuteilungen, Bauvorhaben und dergleichen. Da durfte offenbar keiner der Burschen fehlen. Und doch war es ein arger Zufall, dass einerseits Greider just diesen Tag gewählt hatte, endlich diesen letzten ihm unbekannten Fleck des Tals aufzusuchen – und dass er nun andererseits eben in jenem Moment hier ankam, in dem die Brenner-Söhne im Aufbruch begriffen waren.
Dass sie den Fremden bemerkt hatten, wie der
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