Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Ein zweiter Satz Seile wurde dem Tier ebenso um die Glieder gewunden, deren Enden jedoch nicht mit Knoten fixiert, sondern von jeweils zwei der kräftigsten Männer aus der Gruppe um die Fäuste geschlungen und festgehalten. Schließlich wurde auch der in Erregung um sich schlagende Schwanz des Tieres hochgebunden. Die Kuhspürte nur zu gut, dass ihr etwas bevorstand. Sie fing schneller und flacher zu atmen an, dass ihr der Rotz aus den Nüstern troff, verdrehte die stier glänzenden Augen noch weiter nach hinten und stieß einen im Vergleich zu dem Aufschrei zuvor leisen, aber beharrlich-jammervollen Klagelaut aus.
Bis die Kuh fest vertäut dastand, hatte auch jemand ein Messer gefunden und es in den Stall gereicht – wo es von Hand zu Hand den umgekehrten Weg des Befehls nahm, der es beigebracht hatte, bis es den Brenner-Sohn erreichte. Der hatte inzwischen seinen Janker und sein Hemd abgelegt und stand mit blankem, muskulösem Oberkörper in der Luft, in welcher sich die hereinkriechende Winterkälte und der Körperwärmedunst von Männern und Vieh mischten. Das Messer, das man ihm reichte, hatte einen von vielem Gebrauch speckig gewordenen Holzgriff und eine Klinge, die knapp handlang und an ihrer dicksten Stelle zwei Finger breit war. Er nahm es so in die Rechte, dass die Klinge, auf seinen Körper hin weisend, flach an der Innenseite seines Unterarms anlag und sich die Faust fest um den Griff schloss.
Der Bärtige gab den Männern an den Seilen ein Zeichen, dass sie bereit sein sollten, und trat hinter die Kuh. Sein Gesicht war ernst und entschlossen und ließ sich keine Gefühlsregung anmerken, aber selbst im gelblichen Licht der Öllampen wirkte es bleich.
Mit der Hand, die das Messer barg, fasste er in den fleischigen Spalt, der sich ihm am Hinterteil der Kuh darbot. Mit Vorsicht, aber ohne Zagen, schob er die Faust voran, bis erst sein gesamter Unterarm mitsamt des Messers, dann der Gutteil seines Oberarms in der glitschigen Öffnung verschwunden waren. Er drehte den Kopf – der dem After des Tieres auf Handbreite nah gekommen war –, so weit er konnte, um wenigstens sein Gesicht abzuwenden.
Das Tier war jetzt still geworden, keuchte stimmlos vorsich hin und zuckte nur ab und zu schnaubend mit dem Leib auf, was die Hufe auf die Bretter knallen ließ, aber von den Männern an den Stricken sofort mit scharfem Zug unterbunden wurde. Auch das Raunen der Umstehenden, das zuvor noch den Stall erfüllt hatte, war verstummt. Gebannt von einer widerstrebenden Faszination, einem sich nicht abwenden könnenden Ekel verfolgten alle das Schauspiel.
Der Arm des Brenner-Sohns hatte sein Vordringen eingestellt, aber nun schien er zu arbeiten. Das Stück sichtbarer Oberarm und die nackte Schulter, der Rücken ließen ein reges Spiel der Muskeln erkennen, der Atem des Mannes begann schwerer zu gehen, sein angespanntes Gesicht stand im Schweiß.
Immer wieder schien er vorsichtig nach etwas zu tasten, verharrte sein Körper in gespannter Ruhe, dann schien sich ein Druck in ihm aufzubauen, bis dieser sich in einem plötzlichen Ruck entlud. Dann wechselte er seine Stellung, verfiel in eine erneute Phase des behutsamen Fühlens, Erkundens, die dann einmal mehr in einen Moment der ungesehenen, aber allein schon beim Anblick der Anstrengung seines Leibes spürbaren Gewalt mündete.
Das dauerte lange Minuten, aber kein Wort fiel in dieser Zeit – sah man von den unverständlichen und an niemanden gerichteten Satzbrocken ab, die der Brenner-Sohn hin und wieder unbewusst in seinen Bart murmelte. Selbst die Kuh schien wie von dem Spektakel um sie herum hypnotisiert, und die übrigen Tiere waren wie von der angstvollen Atmosphäre angesteckt, rührten sich bloß etwas in Aufregung, hielten dabei aber ebenso stumm, als wäre der ganze Stall mit seinen Bewohnern und Besuchern gemeinsam ein- und ausschnaufend gefangen in einem furchtbaren Traum.
Wie ein Weckruf fuhr da das Aufbrüllen der Kuh hinein, und auch die Männer an den Stricken schienen eingelullt gewesenzu sein, denn diesmal reagierten sie verspätet auf das plötzliche Zerren des Tieres, sodass dem Bärtigen ein Fluchen entfuhr. Als die Kreatur unter Kontrolle gebracht und der Stall mit einem Mal wieder erwacht war, passierte etwas Neues. Der Arm des Brenner-Sohns begann sich langsam wieder aus dem Leib der Kuh zurückzuziehen. Bis zum Ellbogen glänzte er vor Schleim, doch unterhalb davon war er in dunkles Rot getaucht. Kaum sah man darunter noch die ebenso benetzte
Weitere Kostenlose Bücher