Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
ins Gesicht seines Gegenübers.
»Ja, dass d’ dei Liab immer bei dir hast, auch wenn s’ ned da is«, antwortete ihm der Fremde freundlich und auffordernd, das gut gemeinte Geschenk als solches anzuerkennen.
Lukas zögerte erst, aber dann schien ihm der Gedanke immer besser zu schmecken. Und bald konnte er kaum noch genug davon bekommen, das Bild seiner Lieben mit dem neben ihm sitzenden Original zu vergleichen und zu bemerken, wie gut dieses, wie verblüffend jenes Detail der Wiedergabe getroffen sei und wie ähnlich überhaupt das Ganze. Und schnell war die versammelte Gesellschaft ebenso damit beschäftigt, Porträt und Modell zu studieren und die Kunstfertigkeit des einen, den Liebreiz des anderen und die Übereinstimmung zwischen beiden zu preisen. Und wie groß war erst die allgemeine Verblüffung und Begeisterung, als Greider nicht nur das Blatt mit Luzis Abbild vorsichtig vom Block getrennt und Lukas überreicht hatte, sondern er daraufhin den Block erneut zur Hand nahm, einen Kohlestift hervorholte und erklärte, dass es kaum gerecht sei, wenn Lukas nun jeden Tag seine verehrte Luzi anschauen könne, wann immer er wolle – das Mädchen aber nach wie vor bloß auf das innere Auge der liebenden Sehnsucht und Erinnerung angewiesen sei.
Und wenn eine Weile später der Abschied zweier Menschen,die am liebsten nicht mehr voneinander gewichen wären, vielleicht ein bisschen weniger süßen Schmerz hatte als sonst, dann mag das darin gelegen haben, dass jeder von ihnen nun in der Hand so fest wie im Herzen das Bild des anderen trug.
X
Es gab aber auch ein Mittel, das gegen die Sehnsucht besser half als jeder papierene Ersatz, nämlich das baldige Wiedersehen. Und auf das konnten sich Luzi und Lukas schon eine Woche später freuen. Denn nachdem die Vorstellung des Bauern bei der Gaderin so aussichtsreich verlaufen war, nahm man sich nicht lange Zeit damit, den Gegenbesuch anzusetzen.
Der war zwar vor allem eine einzuhaltende Formalität, die auf den weiteren Fortgang der Sache wenig Einfluss hatte. Er diente aber auch dem Zweck, Luzi der Bäuerin und Lukas’ Geschwistern zu präsentieren. Und da wollten die Gaderin und ihre Tochter doch noch einmal einen guten Eindruck machen. Doch weil sich alle nötigen Vorbereitungen nur mehr auf die eigene Person zu richten hatten und das Haus unberührt ließen, und weil außerdem die entscheidende Schlacht schon gewonnen, das Mädchen weniger von der Angst besessen schien, durch irgendeine übersehene Kleinigkeit ihr ganzes Glück aufs Spiel zu setzen, war diese Woche für den Hausgast deutlich weniger anstrengend als die vorangegangene.
Auch musste er sich diesmal keine Gedanken machen um weitere Geschenke für das Paar oder deren Leute, denn man war übereingekommen, dass er an diesem Treffen nicht teilnehmen würde. Im Haus eines anderen, so fand er selbst,hätte er bei einer derartigen Familienangelegenheit gestört wie ein Kiebitz bei einer Kartler-Runde. Und so begnügte sich Greider damit, Luzi und ihrer Mutter ein wenig Geleitschutz zu geben, als Lukas am noch jungen Morgen seine – so durfte er inzwischen hoffen – zukünftige Braut und deren Mutter mit dem Gespann abholte. Auf diese Weise konnte der Wintergast ein willkommenes Publikum abgeben für das junge Paar. Denn oft lachten Lukas und Luzi über etwas nur ihnen Bekanntes, und dann hob einer von ihnen an: »Ihr müsst nämlich wissen …« Und es folgte eine Erzählung, deren Antrieb vor allem die Freude war, die Lukas und Luzi selbst daran empfanden, eine Anekdote aus der jungen Geschichte ihrer Liebe zum Besten zu geben und sie dabei innerlich noch einmal zu durchleben.
Das machte die Zeit kurz, und schon bald kam man am Hof von Lukas’ Eltern an. Diese erschienen kurz darauf auch beide an der Tür, die kranke Mutter mit einem Kopftuch, in einen Umhang gemummt und von ihrem Mann und einer Magd gestützt, aber trotz der sichtlichen Mühe und Schwäche mit einem Ausdruck gütig-neugierigen Willkommens auf dem bleichen, blinden Gesicht. Und auch der Vater hatte offenbar inzwischen seine Skepsis ganz abgelegt und blickte freudig seinem Sohn und dessen Begleitung entgegen. Greider, der auf dem Weg vor dem Anwesen geblieben war, beobachtete noch, wie Luzi und die Gaderin empfangen wurden und wie sich die Tür hinter der Gesellschaft schloss. Dann ließ er sein Maultier weiter ins Tal traben.
Es war ein Tag, der hell und mit klarem Himmel begonnen hatte. Ein kaltes, reines Blau hatte sich über das
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