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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Greider, dass Aufregung herrschte im Dorf. Er hörte Stimmen schallen, sah Leute, die ihre Nachbarn aus den Häusern klopften, spürte, dass etwas aus dem gewohnten, beharrlichen Tritt geraten war. Er trieb sein Maultier zum Marktplatz, der das Sammelbecken bildete für außerordentliche Neuigkeiten und Neugierige gleichermaßen. Dort waren schon ein, zwei Dutzend Menschen zusammengekommen und tauschten untereinander erregt Fragen und Behauptungen aus. Greider band sein Maultier vor dem Wirtshaus an, mischte sich unter die Menge und hatte sich bald aus dem Wortgewirr so viel zusammengereimt: Einer der Bauern hatte eine trächtige Kuh im Stall, die bald dran war zum Kalben – aber mit dem, was sie im Leib hatte, war etwas verkehrt, und man hatte nach einem der Söhne des Brenner geschickt, der am besten wusste, was zu tun war.
    Tatsächlich hörte man nach einer Weile, in der sich das allgemeine Gespräch – langsam neuer Gerüchte-Nahrung entzogen – zunehmend im Kreis drehte, sich nähernden Hufschlag. ›Er kommt!‹, verbreitete sich vom Rand des Platzes die Kunde, dem Pferd selbst nur wenig vorauseilend. Kaumdass alle sie vernommen hatten, langten auch schon Ross und Reiter auf dem Markt an. Es war der Bärtige, der Älteste der Brenner-Söhne, mit dem Greider an diesem Platz schon seinen Wortwechsel gehabt hatte. Diejenigen, die genauer Bescheid wussten über die Angelegenheit, drängten sich vor und nahmen ihn in Empfang, sobald er vom Pferd abgestiegen war, um ihm einen Weg durch die sich um den Ankömmling verdichtende Menge zu bahnen und ihn zu dem richtigen Hof zu führen.
    Es ging ein unschlüssiges Raunen durch die versammelten Leute, bis sie sich in zwei Gruppen teilten: Die eine begab sich zurück in ihre Behausungen, zu ihrer Arbeit, oder entschied, im Wirtshaus auf einen Bericht vom Ausgang der Sache zu warten. Die andere schloss sich dem Brenner-Sohn und seinen Führern an. Zur letzteren Gruppe gesellte sich auch Greider, hielt sich aber an deren Ende, um nicht zu viel Aufsehen zu erregen. Viele Gedanken hätte er sich darum aber eh nicht machen müssen. Denn der Weg zum rechten Stall war nicht weit, führte nur durch zwei, drei Gassen an den Rand des Dorfkerns. Und auch wenn Greider den ein oder anderen misstrauischen, feindseligen Blick erntete von den Männern, so verloren die doch schnell jedes Interesse an ihm, als sich die Gruppe in das enge, verwitterte Holzgebäude zwängte – wo ihre Aufmerksamkeit von etwas anderem in Beschlag genommen wurde.
    Zwei Schweine und drei Rinder standen hier dicht gedrängt im Stroh, und in einem eigenen, etwas geräumigeren Verschlag befand sich die trächtige Kuh. Durchdringender Tiergeruch erfüllte den Raum. Das weißgraue Tageslicht drang nur in schmale, scharfe Strahlen zerteilt durch die Ritzen in der Wand und eine kleine Fensteröffnung im Giebel. Der dunklere, wärmere Schein von zwei Öllampen, beim Abteil der Kuh an Pfosten gehängt, gab dem übrigen Stalleine schummrige Helle. Mit aufgeblähtem Leib stand das Vieh an der Stelle, an der sich der Lichtschein der Lampen überkreuzte, das Hinterteil dem Raum zugewandt, den Kopf zur Wand, keuchend und mit starrem, weit aufgerissenem Blick, der das Weiße der Augen hervortreten ließ.
    Der Brenner-Sohn trat zu dem Tier hin, dessen gewölbte Flanken sich mit jedem tiefen, rasselnden Atem hoben und senkten, und tastete es ab. Als seine Hände den unter dem starrigen Fell dick geäderten Bauch erreichten, begann die Kuh zu schreien. Es war kein Muhen mehr, das ihrer Kehle entkam, es hatte nichts von dem bewusstseinsfreien Ton ihrer gewöhnlichen Laute. Es waren jene Vokale des Schmerzens, die so vielen Kreaturen in Momenten größter Pein gemeinsam waren – Äußerungen, bei denen dem Mensch seine Brüderschaft mit den anderen Tieren schlagartig ins Mark fuhr. Die versammelten Männer, denen die Natur seit Kindestagen in all ihren Grausamkeiten vertraut war und die nicht zimperlich waren, verstummten und ließen den Schauer auf ihren Gesichtern erkennen. Der Brenner-Sohn blickte ernst den Bauern an, der sorgenvoll neben ihm stand, und sagte nur: »A Messer.«
    Der Auftrag wurde raunend von Mund zu Mund weitergereicht, und während sich einer der auf dem Hof Heimischen an dessen Erfüllung machte, ging auf Geheiß des Brenner-Sohns eine Handvoll der Männer daran, die Kuh mit Stricken in ihrem Verschlag anzubinden. Hörner, Hals und jedes der Beine einzeln wurde an Haken in Wand und Umzäunung festgemacht.

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