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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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halten, um nicht sofort hinauszustürzen und den Ankommenden entgegenzustürmen, aber das wäre freilich höchst unziemlich gewesen, und so wartete sie mit unterdrückter Aufregung, bis sich ihre Mutter erhoben hatte, und folgte ihr dann zur Haustür. Greider saßeinstweilen auf seinem Zimmer. Man war übereingekommen, dass zunächst den Gästen einige Stunden der alleinigen Aufmerksamkeit zustanden und man den Fremden erst zum Abendbrot herunterbitten würde. Hätte ihn die Neugier dazu verleitet, aus seiner Tür herauszulugen, dann hätte er beobachten können, wie die offiziellen Vorstellungen der Alten und ihrer Kinder vonstattengingen, wie der Besuch um seine Wintermäntel erleichtert und schließlich in die Stube gebeten und dort auf die vorgesehenen Plätze gewiesen wurde. Und vielleicht hätte er dabei auch sehen können, wie sich in einem unbeachteten Moment – als man, wie es sich gehörte, den Eltern den Vortritt ließ – einmal nicht ganz zufällig die Hände der beiden Jungen suchten und fanden und drückten und wieder lösten.
    Als draußen der Tag und sein Licht aus der Welt wichen und drinnen die Lampe aufgedreht, das Kaffeegeschirr weggeräumt wurde und man begann, für den Abend Deftigeres aufzutischen, waren dann die wichtigsten Dinge zur allgemeinen Zufriedenheit besprochen und geklärt: dass nämlich die Gaderin den Lukas einen feinen Burschen und dessen Vater an der Luzi auch nichts auszusetzen fand – und dass der Lukas als jüngster Sohn schon nach einem Anwesen schauen sollte, das er übernehmen könnt’, und dass im männerlosen Haushalt der Gaderin Platz wär’ für einen wie ihn und man, wenn man jung und fleißig wär’, was machen könnt’ aus dem Hof und dem freien Land drum herum. Und dass man also zwar nichts übereilen wollte, und freilich jetzt noch nichts spruchreif wäre, dass aber zumindest von den Alten nichts dagegen sprechen tät’, wenn die Jungen sich mögen würden. Wonach es ja sehr den Anschein hatte.
    So empfand man Greiders Erscheinen nicht als allzu große Störung, da das Gespräch ohnehin wieder zu wenigerintimen Themen fand. Nur Lukas blickte hin und wieder etwas finster auf Greider. Es konnte ihm einfach nicht geheuer sein, dass dieser Unbekannte unter einem Dach lebte mit seiner Angebeteten. Ein lediger, viriler Kerl in ständiger Nähe zu Luzi, das war mehr als verdächtig und beunruhigend – auch wenn es keinerlei Anzeichen gab, dass da irgendetwas stattgefunden hätte, das nicht sittsam gewesen sei.
    Womöglich hatte Greider diese ebenso nachvollziehbare wie unbegründete unterschwellige Feindseligkeit vorausgesehen. Jedenfalls hatte er für ein Mittel vorgesorgt, mit dem er Lukas freundlich stimmen konnte. Noch am Abend zuvor hatte er Luzi mühsam einige Minuten der Ruhe abgetrotzt und sie dazu gebracht, sich still neben die Lampe an den Stubentisch zu setzen. Dann hatte er Block und Stift zur Hand genommen und seine Kunstfertigkeit spielen lassen. Dass Luzi dabei die Unruhe anzumerken war, sie hin und her rutschte auf ihrem Sitz, sie sich immer wieder entwischte Strähnen ihres nur notdürftig durch ein Stoffband gebändigten Haars aus dem Gesicht strich und sich hin und wieder in Gedanken an die noch zu tuende Arbeit verlor, was ihre Mundwinkel sinken und sie die Stirn in Falten legen ließ: dies alles verlieh Luzis Gesicht jene Lebendigkeit, die sonst auch ihrem Wesen eignete. Und Greider gelang es tatsächlich, diese Lebendigkeit mit seiner Zeichenkohle einzufangen. Auch jene Luzi, die da Strich für Strich auf dem Papier entstand, schien einen unverwandt anzublicken und herauszufordern, neugierig auf alles, eingeschüchtert von nichts.
    Und nachdem nun etwa eine halbe Stunde verstrichen war, in der Greider von Lukas eine Reihe misstrauischer, mal fragender, mal drohender Blicke empfangen hatte, sagte er endlich zu Luzis frisch Verlobtem: »Ich hab’ da was für dich, könnt’ dir g’fallen.« Dabei schlug er seinen Zeichenblock auf und überreichte dem erstaunten Bauernsohn das Porträt Luzis.
    Für eine Sekunde schien Lukas überhaupt nicht zu wissen, was ihn da ereilte, und sein erster Gedanke schien zu sein, dass dies eine besonders seltsame und perfide Art des Fremden sei, ihm anzukündigen, dass dieser ihm die Luzi abspenstig machen wolle. Dann aber fing er sich, und der erste, vernunftlose Zorn wich einer bloß skeptischen Verunsichertheit.
    »Für mi?« fragte er Greider nach ein paar schnellen, prüfenden Blicken auf die Zeichnung und

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