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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Klinge des Messers hervorblinken, das nun ausgestreckt in der Hand lag. Behutsam führte der Mann es aus der Körperöffnung, darauf bedacht, mit den schneidenden Teilen kein empfindliches Gewebe zu berühren. Kaum war das Werkzeug so ganz befreit, schleuderte er es zu Boden, und fast ohne abzusetzen fuhr sein nun unbewehrter Arm wieder hinein in den faltigen Spalt. Jetzt ging alles ungleich schneller. Wo seine Bewegungen vorher zögerlich tastend gewesen waren, als wolle er aus dornigen Nestern Eier klauben, waren sie nun entschlossen wühlend und zupackend, als gelte es, Wurzelknollen aus steiniger Erde zu ziehen. Schon nach Kurzem kam seine Hand wieder zum Vorschein. Doch nun hielt sie statt des Messers etwas Krummes, Knochiges, Ädriges umfasst, das sie sogleich auf den Stallboden klatschen ließ, um erneut in dem glitschigen Loch zu verschwinden. Und abermals wühlte der Arm, und abermals zog er etwas Undefinierbares hervor, und abermals tauchte er ein in den Leib. Und so ging es, jedes Mal begleitet von einem Aufstöhnen der umstehenden Männer, wieder und wieder.
    Und es sammelte sich auf dem Boden zu Füßen des Brenner-Sohnes ein gut kniehoher Berg blaugräulich schimmernden, dampfenden Fleisches, aus dem man hier einen Kalbsfuß, da ein Organ, dort eine halb durchsichtige Rippe hervorragen sehen konnte. Und auf dem schließlich und letztlich und mitdem letzten grausigen Ein- und Ausgleiten des Armes etwas zu ruhen kam, das Zähne hatte und Augen. Aber grotesk missgestaltet und – wie auch die krüppeligen Hufe in dem Haufen – an ihrer Zahl zu viele, um nur zu einem, jedoch zu wenige, um zu zwei gesunden Lebewesen zu gehören.
    Keuchend stand der Bärtige da und betrachtete das Werk, das er verrichtet hatte. Jetzt endlich erlaubte er sich, Ekel zu empfinden und diesen unverhohlen zu zeigen. Man löste die Stricke von der Kuh, die sich erschöpft ins Stroh sinken ließ. Sie atmete jetzt ruhiger und stieß einen tiefen, lang gezogenen Laut aus, der manchem der Anwesenden vorgekommen sein mag wie ein trauriges Seufzen, das aber nun frei war von Angst und Schmerz.
    Die Menge der Männer drängte und beugte sich nach vorne, um genauer zu begutachten, was da Unheiliges auf dem Stallboden lag. Und wieder war ihnen anzumerken, dass sie, obwohl sie als Bauern vertraut waren mit dem Tod und dem Fleisch und dem, was im Inneren der Kreatur hauste und weste, trotzdem getroffen waren von dem, was sich hier ihren Augen bot. Keiner traute sich, den Haufen zu berühren, mancher wandte sich angeekelt ab. Und alle raunten und tuschelten und murmelten mit Ernst und Besorgnis, als hätte sich der Stall verwandelt in die böse verkehrte Parodie einer Kirche, in welcher sich eben ein Wunder offenbart hatte.
    Und endlich gab einer, der weiter hinten stand, laut dem Ausdruck, was alle dachten und wussten, mit einem Tonfall, wie einer ankündigt, dass jetzt das Gras nass wird, nachdem es zu regnen begonnen hat: »Des is kei guads Zeichen. Da kommt’s Übel zu uns.«

IX
    Greider war froh, dass er in diesen Tagen bei der Rückkehr ins mit anderem beschäftigte Haus der Gaderin nicht einmal aus Höflichkeit mehr gefragt wurde, wo er gewesen war und was er dort erlebt hatte. So blieb es ihm ganz von selbst erspart, von dem Schauspiel im Stall berichten zu müssen. Und so war die freudige Aufregung im Haus auch diesen letzten Abend ungetrübt von unheilvollen Schatten.
    Luzis Eifer freilich, dem Liebsten und dessen Vater einen gänzlich makellosen Empfang zu bereiten, ließ es auch am Tag darauf nicht zu, dem Säubern des längst blitzblanken Hauses früher als zwei Stunden vor dem Ereignis selbst Einhalt zu gebieten, um sich schließlich dem Herausputzen der eigenen Person zuzuwenden. Es war recht eigentlich ihr Gewissen, das sie hier rein halten musste: Niemand sollte später behaupten können, sie hätte nicht ihre ganze Zeit und ihre ganze Energie nach bestem Vermögen in die wichtige Aufgabe investiert. Schließlich aber war dann doch auch die letzte Stunde des Wartens noch überstanden, die fast die schlimmste war von allen, weil sie auf einmal zur Untätigkeit verdammte und einen quälte mit dem Gefühl, doch etwas vergessen zu haben. Aber freilich hatte Luzi nichts übersehen, und nach einer schier endlos scheinenden Zeit näherten sich draußen tatsächlich die Geräusche eines kleinen Fuhrwerks, und durch das Fenster wurde schließlich die Bauernkutsche sichtbar, die ihr den Liebsten brachte.
    Luzi musste merklich an sich

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