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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Medium aufgesucht, einen der Unzähligen, deren Zeitungsinserate eine Möglichkeit versprachen, noch einmal Kontakt aufzunehmen mit den Dahingegangenen. Und nachdem sie diesem sehr netten und seriösen jungen Mann einen Besuch abgestattet hatte – der zwar nicht gerade im besten Viertel der Stadt wohnte, aber mit zahlreichen Komplimenten gegenüber der Witwe bewies, dass er offensichtlich Geschmackund Verstand hatte –, war sie nun völlig überzeugt, dass ihr Mann und ihr Sohn nicht nur eines ehrenhaften Todes gestorben waren, sondern dass die beiden glücklich in einem gütigen Jenseits nichts sehnlicher erwarteten als dereinst ihre, der geliebten Frau und Mutter Ankunft.
    Holden gab sich ganz angetan von diesem wunderbaren Bericht, konnte gar nicht genug davon bekommen, die ältere Frau, deren selbstgefälliges Gesicht inmitten der sich aufplusternden Stoffmengen ihres Kleids und Huts ein glückliches Glänzen annahm, darum zu bitten, jenen oder welchen Teil ihrer Erzählung auch immer zu wiederholen. Wobei er sie jedes Mal um weitere Details bat. Die dann, sie möge vielmals entschuldigen, die ein oder andere Verwirrung bei ihm hervorriefen. Diese Schlacht, in der ihre heldenhaften Männer fielen, das war…? Aber sei bei der nicht, die Dame solle verzeihen, aber er glaube darüber gelesen zu haben…? Ach, wie, nein, da liege dann bestimmt ein Missverständnis vor, aber kein Problem, man habe ja hier am Tisch einen ehemaligen Offizier, der bestimmt…Worauf der bedauernswerte Angesprochene sich genötigt sah, genau die Version Holdens zu bestätigen, dabei aber etwas zu murmeln von einem vermutlichen Versehen, die Dame habe da womöglich den falschen Namen erinnert…Mit dem Resultat, dass die Frau schließlich vor den Trümmern ihrer trostreichen Geschichte stand und noch nicht einmal Gelegenheit hatte, darüber zu verzweifeln, ohne dass sie selbst ausgesprochen und eingestanden hätte, was keiner am Tisch zu sagen gewagt hätte.
    Das alles aber machte Holden der Deutschen nur unsympathisch. Der Abend, an dem er ihr vollends unheimlich wurde, folgte nur wenige Tage später. Da fanden Holden und seine Reisegefährten sich in einem deutlich weniger komfortablen Hotel wieder, wo der Richter abends einmal mehr eine Runde begieriger Zuhörer um sich geschart hatte. Am Tischbefanden sich unter anderem zwei auf gänzlich unraffinierte Art hübsche Damen von fragwürdigem, aber nicht eindeutig inakzeptablem Ruf, ein junger Priester mit großen, weichen Händen, dessen Gesicht beinahe aufreizend gut aussehend gewesen wäre, hätte er nicht einen Hang zur Dicklichkeit gehabt und einen Mund, in dem die Zähne wie hingewürfelt schief standen, und schließlich gesellte sich später auch noch der Wirt zu ihnen, als der übrige Gastraum sich geleert hatte und er bemerkte, dass hier offenbar gute Unterhaltung zu finden war.
    Hier berichtete Holden von der unglücklichen Dame und ihrem falschen Trost, worauf sich erwartungsgemäß mit dem Priester ein Gespräch über das Leben nach dem Tod entspann. Der Richter neckte den jungen Mann immer wieder mit der rosigen Vision vom Jenseits, die das angebliche Medium der Witwe aufgetischt hatte. Nicht ein Mal versündigte Holden sich gegen das, was alle am Tisch für göttliche Wahrheit hielten. Stets malte er nur den Scharlatan, der die ältere Dame betrogen hatte, und dessen offensichtliche Lügen in lächerlichsten Farben aus. Aber der Priester fand sich in unerwarteter Verlegenheit wieder beim Versuch, seine Überzeugungen davon unwiderlegbar abzusetzen, und bald beschränkte auch er sich darauf, gegen das grassierende Übel der Wahrsagerei, Hell- und Geisterseherei zu sticheln. Es zieme sich nicht für den Menschen, offenzulegen, was der HERR ihm nicht zu wissen auferlegt hat. Nur vor dem großen Vater sei alles offenbar, und so möge es auch bleiben.
    Der Richter hörte dieser großen Rede aufmerksam zu, und mit leicht schief gelegtem Kopf betrachtete er den Priester danach noch ein, zwei Sekunden aus durchdringenden Augen. Dann lächelte Holden und meinte, das klinge ja ganz so, als ob der Reverend selbst gern Geheimnisse wahrte. Worauf alle lachten, der Geistliche am lautesten.
    Ob es denn nicht doch großartig wäre, wenn man den Leuten in Vergangenheit und Zukunft blicken könnte, wie es einem beliebte, fuhr Holden fort. Ob denn nicht alle hier am Tisch dies für eine sehr natürliche menschliche Neugier hielten? Und dieses Medium, das der Witwe von Mann und Sohn erzählt

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