Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
nur ein Zusammenwirken aus meisterhaftemHandwerk und langem, pfleglichem Gebrauch es bewirken konnten. Lauf, Schloss, Abzug und Hahn waren aus einer unbestimmten dunklen Legierung, deren Aussehen der kühlen Härte von poliertem Stahl das dumpfere Grau von Blei und das warme Leuchten von Bronze beimischte. Und an den Seiten des Schafts, oberhalb des Abzugs, da, wo man auf der rechten Seite durch einen Einlass die Patronen zuladen konnte – die dann, fünfzehn an der Zahl, in dem dünneren Magazinrohr an der Unterseite des Laufs darauf harrten, in die Kammer befördert zu werden –, da war die Waffe verstärkt und verziert mit silbernen Beschlägen. Auf diesen schlangen sich, kunstvoll und fein ziseliert wie auf einer französischen Zuckerdose, fantastische Ranken und exotische Blüten: Auf dem rechten Beschlag wanden sie sich um den Patronen-Einlass, auf dem linken Beschlag um eine ebenfalls ins Silber gravierte antike Szene, Gestalten in lakenartigen Gewändern vor einer idealisierten Landschaft, wie sie der Junge von Gemälden aus einem Museum kannte, in das ihn seine Mutter einmal geführt hatte. Und darunter standen Worte, die er sich zwar zusammenbuchstabieren konnte, die aber keinen ihm durchdringbaren Sinn ergaben: »Et in arcadia«.
Holden beäugte mit geduldigem Wohlwollen, wie der Junge das Gewehr studierte, wie er es von oben bis unten genau in Augenschein nahm, es drehte und wendete, zaghaft seine einzelnen Bestandteile betastete, und wie er dabei immer sicherer wurde in seinem Umgang mit der Waffe. Wie sie ihm gleichsam in die Hände zu wachsen schien, er binnen kürzester Zeit ein Gefühl dafür entwickelte, wo er sie anzufassen hatte, wie ihr Gewicht auszubalancieren. Und als der Richter schließlich zufrieden schien, dass der Junge in seinen Erkundungen keine großen selbstständigen Fortschritte mehr machen könne, legte er lächelnd und sacht seine eigenen Händeum die des Adepten und führte ihm so den Kolben an die Schulter, bedeutete ihm, dass er diesen fest dagegenzupressen hatte, schob die Linke in eine Lage am Holz unter dem Lauf, dass sie unangestrengt sichere Lenkung und Halt geben konnte, führte die Finger der Rechten so, dass der Daumen seitlich am Schaft Stütze fand, Mittel-, Ring und kleiner Finger in die Repetiervorrichtung glitten und schließlich der Zeigefinger sich krümmend um den Abzug schmiegte.
Der Junge blickte den Glatzköpfigen an, halb mit Stolz und Vorfreude, dass dieser ihm tatsächlich gleich einen richtigen Schuss zutrauen würde, halb fragend, ob dies nicht nur bloße Demonstration der Schusshaltung sei, ob er es wirklich wagen dürfe – ja, ob er selbst es schon wagen wollte und konnte.
»Du schaust hier und hier«, erklärte Holden ihm die Funktion von Kimme und Korn und hielt dann Ausschau nach einem geeigneten ersten Ziel. »That rock over there«, deutete er auf einen koffergroßen, markanten Felsbrocken inmitten des Flusslaufs. Der Junge gab nickend zu verstehen, dass er wusste, welcher Stein gemeint sei.
Dann presste er den Gewehrkolben noch fester an seine Schulter, bis es ihn fast schmerzte, und versuchte, seinen linken Arm trotz der Aufregung so unter Kontrolle zu bringen, dass der Strich der Zielvorrichtung auf der Mündung aufhörte, wie trunken um die Metallkerbe vor seinen Augen zu tanzen. Er solle den Abzug nicht ziehen, sondern vorsichtig bis zum Punkt des größten Widerstands Druck auf ihn ausüben und dann zum Auslösen nur noch leicht, ohne Ruck den Finger weiterbiegen, ermahnte ihn Holden. Der Junge war derweil damit beschäftigt, seinen Atem im Zaum zu halten, denn plötzlich schienen Herz und Lunge, die sonst stets so unbemerkt beflissen ihren Dienst taten, in seinem Inneren ein ungeahntes Toben aufzuführen. Zum Anpressen des Kolbens,dem Anvisieren des Ziels, dem Anhalten des Atems versuchte er jetzt auch noch, den Abzug bis kurz vor den Auslösepunkt zu drücken, und das überforderte seine Konzentration. Der Druck seines Zeigefingers wurde zu stark, der Abzug gab den gespannten Hahn frei, noch bevor der Junge darauf gefasst war, es tat einen Schlag gegen seine Schulter, ein entsetzlicher Krach betäubte seine Ohren, das Beißen verbrannten Pulvers drängte in seine Nase, und die Kugel platschte Meter vom Ziel höhnisch ins Wasser. Fast hätte der Junge vor Schreck das Gewehr fallen lassen – und wäre das geschehen, hätte seine Schmach keine Grenzen mehr gekannt.
Hinter sich hörte er seine Mutter rufen. Sie war sichtlich entsetzt,
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