Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Schmuckvolle, alle gottversuchend zur Schau gestellte Freude war verdächtig und verachtet. Man hatte den Reichtum nicht, nicht die Notwendigkeit und besonders nicht den Willen, großes Aufhebens zu machen. Wohl war die Entbehrung einst schlichtes Schicksalsdiktat gewesen, und später selbst auferlegte Vorsicht – aber längst war sie auch Gewohnheit geworden und ihr eigener Zweck. Die Selbstkasteiung hatte sich tief ins Wesen dieser Menschen geschrieben,und nicht einmal sie selbst hätten sagen können, ob sie ihnen insgeheim selbstquälerische Befriedigung gab, oder ob sie ein Preis war, den man gern zahlte um der neidigen Freude willen, auch allen anderen jeden Genuss untersagen zu können. So war es auch alte Sitte, dass Hochzeiten als Teil einer gewöhnlichen Sonntagsmesse gefeiert wurden und des anschließend üblichen Wirtshausbesuchs – der bei solchen Anlässen lediglich ein wenig länger und rauschiger ausfallen durfte als sonst. Und freilich suchte man an so einem Tag nicht gleich bei der Ankunft das wenige an Wärme und Bequemlichkeit, was die Bänke im Kircheninneren zu bieten hatten, sondern versammelte sich draußen, um dem Paar den Empfang zu bereiten.
Als die Wägen mit Braut und Bräutigam über der letzten Wegkuppe sichtbar wurden, lösten sich die schwatzenden Gruppen vor dem Gotteshaus auf und formierten sich neu zu einem schaulustigen Spalier, das den Pfad zur Pforte säumte. Ein großes Getuschel hob an, als das Gespann mit der Braut in diese Gasse aus Leibern einbog und schellend anhielt, um seine wertvolle Fracht abzuladen. Es lag nicht in der Natur dieser Menschen, ohne Not etwas Gutes über andere zu sprechen oder an der Freude anderer Leute teilzuhaben. Dennoch mussten viele eingestehen, noch selten eine solch fesche, geradezu trotzig strahlende Braut gesehen zu haben – auch wenn sich die ein oder andere Bemerkung anschloss, dass ihr das irgendwann schon, wie allen, noch vergehen würde.
Am Ende des Spaliers standen, als würden sie den Kircheneingang bewachen, die vier Söhne des Brenner. Sie alle trugen Trauerflor, und ihr Vater hatte es offensichtlich vorgezogen, seinen Hader mit Gott unter seinem eigenen Dach auszumachen und auf die freudigen Feste anderer Leute zu verzichten. Beim Anblick der vier schwarzen Männer sah man tatsächlich gleich etwas von dem Strahlen aus Luzis Gesichtweichen. Es hellte sich freilich augenblicklich wieder auf, als sie sich umwandte und die Ankunft ihres künftigen Gemahls verfolgte. Dessen Kumpane begleiteten ihre Einfahrt mit Juchzen, Klatschen und Gelächter, das zumindest einen bescheidenen Widerhall aus der versammelten Menge erfuhr, um dann Lukas unter großem Hallo und mit manch auf den Weg gegebenem derbem Ratschlag vom Wagen herunterzureichen.
Braut und Bräutigam schauten sich an diesem Tag zum ersten Mal aus einiger Nähe an, und man spürte regelrecht, wie jedem das Bild des anderen ins Herzen sank und sich dort in den Grund grub wie ein Bollwerk gegen alles, was dieser Tag oder alle folgenden bringen mochten an Zweifeln, Proben und Widrigkeiten.
Mit diesem inneren Glühen der Entschlossenheit kehrte sich Luzi, von den Frauen ihres Brautgefolges gedrängt, schließlich wieder um und ließ sich zu den Brenner-Söhnen geleiten. Sie trug den Kopf hoch, überlegen war ihr Lächeln und der Blick unbeugsam. Mit vollendet hasserfüllter Höflichkeit ließ sie sich von dem Ältesten der Brennerschen in Empfang nehmen. Denn er sollte es sein, der sie zum Altar führte. Greider, darauf schon vorbereitet, hatte nicht nachgefragt, ob das nur dem Umstand geschuldet war, dass Luzi weder Vater noch Bruder mehr hatte, oder ob es sich um einen allgemeinen Brauch hier im Tal handelte.
Luzi ließ sich von dem Bärtigen – unter dessen Förmlichkeit nicht minder Stolz und Verachtung schwelten – an den Arm nehmen, und jeder der beiden schien bei dem Nicken, mit dem sich Luzi an der starr dargebotenen Armbeuge unterhakte, erfolglos den anderen als Ersten zum Abwenden des Blicks herauszufordern. Erst als der Moment zu lang zu werden drohte, schauten beide zugleich wieder nach vorn, um als anführendes Paar die Kirche zu betreten.
Ihnen folgten nach und nach die Übrigen und füllten die Bänke gemäß Rang und Geschlecht. Unter sie hatte sich auch Greider gemischt. Er setzte sich in eine der hintersten Reihen, wo die anderen seine Anwesenheit geflissentlich nicht beachteten – aber bevor er Platz nahm, versicherte er die Gaderin und Luzi, die sich nach
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