Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Geier explodierte, und eine Fontäne schoss aus dem Halsstumpf, vom selben Rot wie der letzte Sonnenstreif am Rand der Berge. Die anderen Vögel schrien auf. Beißender Pulverdampf qualmte aus dem heißen Lauf.
Holden grinste die Frau an, und in seinem Blick lag geheischtes Bedauern, unter dem sein Triumph hervorgrinste. Er sagte: »Ich fürchte, er hat schon eines.«
Greider hielt das Gewehr in den Händen. Die Waffe war kalt und roch in der kühlen Luft der Kammer nach nichts als feinem Öl. Als würde sie schlafen – aber bereitwillig auf ihre Verwendung warten, wie ein Tier, das nur alle paar Jahre jagt und tötet und dann geduldig auf die nächste Beute lauert. Greiders Heranwachsen zum Mann hatte das gefühlte Gewicht des Gewehrs geringer gemacht. Nur das silberne Blitzen und Schimmern der Beschläge im Schein der Lampe war so hell wie eh und je.
Vor Greiders Augen blickte das Gesicht seiner Mutter milde lächelnd auf ihn. Er lächelte zurück, und sein Lächeln hatte etwas Entschuldigendes, aber auch eine unumstößliche Entschlossenheit.
Dann schlug er das Gewehr wieder in die Tücher, ließ es behutsam in das Lederfutteral gleiten und verschloss dies. Aber er verstaute es unter dem Tisch nicht mehr hinter, sondern vor all seinem anderen Gepäck.
Dann löschte er die Lampe.
XIII
War das Warten auf die offizielle Brautwerbung und Verlobung im Gaderschen Haushalt von einer ungeheuren Geschäftigkeit geprägt, so wirkte dagegen die Zeit bis zum Tag der Hochzeit geradezu lähmend leer. Denn viel gab es nicht zu tun für die zukünftige Braut und ihre Mutter. Da waren die wöchentlichen Besuche des Verlobten, meist in Begleitung seines Vaters oder anderer Mitglieder der Familie – aber auch wenn man da jedes Mal aufs Neue bemüht war, nur den besten Eindruck zu machen, und Luzi ohnehin nichts Schöneres wusste, als ihrem Lukas einen möglichst vollkommenen Empfang zu bereiten, löste keine dieser Visiten noch einmal einen solchen Wirbel aus wie damals der Antrittsbesuch. Dann galt es, die Aussteuer in beste Ordnung zu bringen. Aber zum einen bestand deren bedeutendster Teil ja aus dem Grund und Haus selbst, und was daran über die gewöhnliche Haushaltung hinaus getan werden konnte, war entweder bereits geschehen oder würde der neue Herr des Hofs nach seinem Einzug selbst besorgen. Zum anderen war die Gaderin mit dem, was an übriger Aussteuer in einer Truhe verwahrt war, zeitlebens so sorgsam und pfleglich umgegangen, wie es in den meisten Dingen ihre Art war, und so gab es da jetzt, wo dieser überschaubare Schatz seiner Bestimmung zugeführt werden sollte, nicht viel auszubessern, aufzufrischen. Nur das Gewand, in dem schon die Gaderin geheiratet hatte, und vor ihr ihre Mutter, und das, wie es gute Tradition war, nun auch Luzi kleiden würde am Tag ihrer Ehre, musste umgenäht werden. Doch auch das war selbst bei größter Sorgfalt und mehrmaligem Anprobieren und Ändern eine Arbeit von nicht mehr als zwei, drei Tagen.
Greider hätte nicht zu sagen vermocht, was er letztlichvorzog: den Trubel, der geherrscht hatte, bevor Lukas und sein Vater zum ersten Mal auf Besuch kamen – wo keine Minute der Ruhe und des Durchschnaufens mehr war, wo alles erfüllt war von einer nutzlosen Hektik und man ständig das Gefühl bekam, nur im Weg umzugehen –, oder die zur Tatenlosigkeit verurteilte Aufregung jetzt, die über alles ein seltsames Gefühl einer keinen Auslass findenden Anspannung legte, welches die Tage quälend und unzufrieden werden ließ.
Nur einmal wurde diese gelähmte Spannung unterbrochen, durch einen Zwischenfall, der ganz unverbunden mit ihr war – und der doch schien, als hätte etwas, das in diesem Tal gärte, ein vorläufiges Ventil gefunden für den sich aufstauenden Druck.
Greider saß an jenem Tag um die Mittagszeit in der Stube und spaltete mit einem großen Messer Holzscheite in dünne Späne für das Ofenfeuer, als die Gaderin, die nach den Hühnern geschaut hatte, hereineilte.
»Hörst du’s?« fragte sie ihn aufgeregt.
Greider unterbrach seine Tätigkeit, und das Ächzen und Splittern des Holzes wich der Stille – in die nun von draußen tatsächlich ein anderes Geräusch drang. Ein fernes, schrilles Bimmeln, die insistierende Stimme der kleinsten Glocke im Kirchturmgestühl.
»’s Totenglöckerl«, stellte die Gaderin mit bang ehrfürchtigem Ton fest und bekreuzigte sich. »Wieder.«
Und Greider wurde ins Dorf geschickt, herauszufinden, was die traurige Ursache dieses
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