Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
diesen kleinen Liebesdienst sichtlich gern gefallen.
Sobald sie saß, stieg Lukas ihr mühelos flink nach, und der Kutscher, einer von Lukas’ Brüdern, zügelte die ungeduldigaufstapfenden Pferde, die mitbekommen hatten, dass es bald losgehen sollte. Das Paar hüllte sich in die bereitliegenden Felldecken – nicht aber, ohne jeweils einer Hand Durchschlupf zu lassen, mit der sie die des anderen fassen konnte. Noch immer umgab das Gefühl ihrer Liebe die beiden wie ein Glimmen, das in jeder Berührung, jedem Wort zwischen ihnen einen auflohenden Glutherd fand. Aber jetzt, wo sie aus dem Schutz der Kirche getreten waren – so beklemmend dieser auch gewesen sein mochte –, wo sie nicht mehr durch das Ritual wie Darsteller auf einer Bühne waren, da schien dieses Glimmen mehr und mehr durchflackert von einer bangen, trübenden Erwartung. Und es schien gerade so, als spürten das die Leute und würden – davon befriedigt und angespornt – ihrerseits nun immer lauter und lustiger. Nur die Eltern des Brautpaars, die jetzt in der zweiten Kutsche Platz nahmen, wurden stiller, nachdenklicher. Ja, im Gesicht der Gaderin schien sich ein Schmerz auszubreiten, der nicht verwandt war mit den süßherben Tränen der Rührung und des Loslassens, die sie als Brautmutter zuvor so eifrig wie erfolglos mit ihrem Taschentuch einzudämmen versucht hatte.
Als die Kutschen sich in Bewegung setzten, hielten Luzi und Lukas, Stirn an Stirn gelehnt, ihre Blicke fest ineinander versunken. Aber die Gaderin schaute sich noch einmal nach der sich langsam auflösenden Menge um und schien dort nach etwas zu forschen – und dies zu entdecken, als ihr Blick auf Greider fiel. Da war etwas wie ein Flehen in ihrer Miene, das Flehen von jemandem, der etwas erbitten möchte, aber weiß, dass dazu Dinge gesagt und erklärt werden müssten, die auszusprechen ihm nicht möglich sind.
Greider nickte ihr zu.
Er verharrte beobachtend am Rande des Tumults von Dörflern, die sich nach dem Gottesdienst teils begrüßten, teils verabschiedeten. Die ihre Kutschen und Pferde herbeiholten,bestiegen und in diese und jene Richtung lenkten. Oder Grüppchen bildeten, um zu Fuß den Weg ins Wirtshaus anzutreten, und dabei ein großes Aufhebens veranstalteten.
Erst als sich dieser Auflauf gelichtet hatte, holte Greider in aller Ruhe sein Maultier von dessen Rastplatz, als wolle er sich, wie schon beim Herweg, gegen Ende der Prozession einreihen. Doch er ließ sich weiterhin Zeit, bis auch die letzten Talbewohner den Platz geräumt hatten. Und anstatt dann endlich in den Sattel zu steigen, machte er sich an der Lederröhre zu schaffen, die unauffällig an dessen eine Seite geschnallt war.
Er löste ihre Klappe und zog einen schlanken, stumpf glänzenden Gegenstand hervor, den er unter seinem knöchellangen Mantel sogleich wieder verschwinden ließ.
Dann band er das Maultier am Friedhofszaun an und trat durch die ächzende Pforte zurück in die Kirche.
XIV
Drinnen war Breiser noch damit beschäftigt, das Gotteshaus wieder in einen Zustand zu versetzen, in dem es bis zum nächsten Hochamt ausharren konnte. Er hatte die Gesangbücher eingesammelt und bereitgelegt, hatte seine letzten Utensilien vom Altar in die Sakristei gebracht und löschte eben die Kerzen, sodass sich unter den Weihrauchduft das stechende Kokeln ersterbender Dochte mischte.
Als er hörte, dass die Tür sich öffnete und wieder ins Schloss fiel, hielt er inne und blickte auf, um zu sehen, wessen Schritte da kalt hallend den Mittelgang entlangkamen.
Als er Greiders Gestalt erkannte, rangen auf seiner Miene Überraschung und Verachtung miteinander. Doch statt dieFrage über seine Lippen zu lassen, warum ausgerechnet der Fremde ihn jetzt noch einmal in seinen Verrichtungen störte, blickte er diesen nur hochmütig herausfordernd an.
Greider ließ dem Schweigen zwischen ihnen Zeit, den Raum zu füllen.
Jetzt, da die Menschen diesen wieder verlassen hatten, war er kälter, aber auch heller geworden. Kahle Sonnenstrahlen schnitten scharfe Lichtquadrate in das gedrungene Kirchenschiff.
Schließlich, als Breiser eben zu überlegen schien, ob er den Fremden doch ansprechen oder einfach achselzuckend zu seiner Arbeit zurückkehren sollte, erhob Greider die Stimme:
»Ich möcht’ beichten.«
»Beichten?« entfuhr es Breiser derart spöttisch ungläubig, als hätte man von so einem Wunsch in einer Kirche sowenig gehört wie in einem Wirtshaus davon, dass einer vom Wirt bitte einen Handstand sehen
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