Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
Gleichförmigkeit der Tage zurück. Das Warten wäre schwer erträglich gewesen, hätte es nicht einem derart freudigen Ziel und Anlass gegolten. Jede Ungeduld, jede Unleidlichkeit wurde gemildert, wenn Luzi sich vor Augen rief, was nach dieser kurzen Endlosigkeit auf sie wartete. »Nimmer lang, dann hast dei Glück«, sagte die Gaderin oft zu ihr, und Luzi nickte. Aber es schien, als mische sich mit Heranrücken des festgesetzten Tages unter die Vorfreude zunehmend etwas anderes, das mehr war als die verständliche Aufgeregtheit. Hätte man Luzi und Lukas nicht gekannt, man hätte es auf die so üblichen Zweifel schieben mögen, die viele vor der Eheschließung befielen. Doch das war gewiss: Die Liebe dieser beiden kannte keine Zweifel. Die mochten kommen mit den Jahren, wenn Jugend und der Glaube an wahres Glück aufgerieben waren an Alltag und Vergänglichkeit, aber jetzt meinte sich diese Liebe noch bedingungslos und war die größte und schönste Liebe aller Zeiten – so wie es die meisten jungen Lieben überzeugtermaßen sind.
Nein, es wirkte eher, als wäre die Schließung der Ehe noch nicht Vollendung und sicherer Garant der Liebe und Erfüllung – sondern deren letzte, schwerste Prüfung. Gesprochenwurde darüber freilich nicht, es blieb eine Sache der plötzlich eintretenden Stille, der Blicke und Seufzer; der Momente, wo die lebensfrohe junge Frau auf einmal von einer Mutlosigkeit ergriffen schien und ihre Mutter sie in den Arm nahm, an sich drückte und ihr übers Haar streichelnd zuredete: »Ich hab’s ja auch g’schafft, ham ja alle g’schafft.«
So waren alle erleichtert, als er endlich da war, der bewusste Sonntag, der Tag des freudigen Ereignisses. Da gab es dann freilich doch wieder mehr zu tun, als die zur Verfügung stehenden Stunden erlaubten, obwohl man lang vor Sonnenaufgang aufgestanden war – was zumindest für Luzi ohnehin nur hieß, endlich dem schlaflosen Hin-und-Her-Wenden im Bett ein Ende zu machen. Es galt, die Braut herauszuputzen, sie zu baden und ihr unbändiges Haar zu einer kunstvollen Frisur zu flechten und zu stecken, sie in ihr Festtags-Mieder zu schnüren und die Lagen aus Röcken und Schürzen anzuziehen. Und als es der Gaderin schließlich gelungen war, in all diesen Dingen Luzis ständig Verbesserung suchenden, aber nur Unordnung stiftenden Zweifeln, Zupfen und Zerren lang genug Einhalt zu gebieten, dass alles zur Zufriedenheit abgeschlossen werden konnte, da musste sich selbstverständlich auch noch die Brautmutter fesch machen, auf strengere, weniger prunkende Art, aber doch mit Bedacht und Gründlichkeit.
So war man kaum fertig mit den zierenden Verrichtungen, als draußen das Gespann vorfuhr, die Braut abzuholen. Seine zwei schönsten Pferde hatte Lukas’ Vater ins Geschirr genommen, und der offene Kutschwagen war mit Tannreisern geschmückt. Drin saßen die weiblichen Mitglieder der Bräutigamsfamilie versammelt, und in ihrer herzlichen Mitte nahmen Luzi und die Gaderin Platz, nachdem der Brautvater sie feierlich von der Schwelle ihres Hauses abgeholt und geleitet hatte.
In einem zweiten, etwas weniger prächtigen Wagen dahinter saß Lukas inmitten seiner Brüder, Schwager und Vettern, und er reckte den Hals, um Blicke auf seine Braut zu erhaschen, die ebenso nach ihm spähte. Doch schon knallten die Peitschen, und die Gespanne ratterten los.
Hinter ihnen schloss sich Greider auf seinem Maultier an. Sosehr er als Gast der Zeremonie willkommen war – ihn wie ein Mitglied der Familie zu behandeln ging, vor allem gegenüber Lukas’ Leuten, nicht an. Sein Platz war und blieb der eines Fremden, der nur für manche insgeheim auch schon so etwas war wie ein Freund.
Inzwischen goss auch die Sonne langsam Helle in das Becken des Tals – noch milchig und diffus, denn gegen Kälte und Schnee würde das Gestirn einige Wochen weiter machtlos bleiben, aber die Dunstschleier versprachen, sich bis Mittag zu verflüchtigen und ein blaues Firmament freizugeben. Wenn die Leute in den Wägen miteinander sprachen, kamen ihre Worte wie greifbar in Wölkchen gehüllt aus ihren Mündern – doch allzu viel wurde nicht geredet. Es herrschte eine Mischung aus heiligem Ernst und lichter Freude, die besser Ausdruck fand in schweigendem Lächeln, das das Knirschen des Schnees unter den Kufen, das Huftrappen, das Ächzen und Klirren des Geschirrs, das gelegentliche Knallen der Peitsche ungestört ließ.
Wie bei allem hielt man es hier im Tal auch bei Hochzeiten: Alles zu
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