Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
es für die beiden nur eines, und das war der jeweils andere, das waren sie, das war das »Ja«. Wenn ihr Atem schneller ging, während Breiser sie von seiner erhöhten Position herab strengen Blicks mit Ermahnungen und Belehrungen überzog, dann nur, weil sie an nichts dachten als das Nahen des Moments, wo sie jenes Wort sprechen durften, das sie endlich auch vor den Menschen und ihrem Gott zu dem machen würde, was sie in ihrem eigenen Gefühl schon längst waren. Breisers ganze einschüchternde Erscheinung nutzte ihm da nichts, er hätte genauso gut an einen Fels hinreden können. Denn wo er die beiden ermahnte, sich zu lieben, zu ehren, einander treu zu sein, da hatte das so viel Notwendigkeit, als hätte er einem Stein befohlen, sich nicht aus eigener Kraft vom Fleck zu bewegen. Und wo er ihrer Liebe Grenzen setzen wollte, da tat das so viel Wirkung, als hätteer von einem Granit verlangt, er möge einem Fingerdruck nachgeben.
Und als dann auch diese letzte Verzögerung vorbei war und sie sich einander zuwenden und an den Händen fassen durften, da verschwand ihnen vollends die Welt um und neben dem geliebten Gesicht, das wahrhaft zum Ein und Alles wurde. Und das »Ja, ich will« Lukas’ und sein Lautzwilling und Seelenspiegel aus Luzis Mund waren sämtliche Worte, die sie an diesem Tag, oder – das war ihr fester Glaube – für den Rest ihrer Tage zu hören und zu sagen brauchten. In ihnen steckte, was es zu wissen gab und galt.
Und alles, was an Feindlichem versammelt war in diesem Gotteshaus, in diesem kalten, finsteren, einsamen Tal, das spürte in diesem Moment, dass es klein wurde dagegen. Dass es – egal was Zeit und Menschennatur, egal mit welchem Erfolg, vorbringen und unternehmen würden gegen dieses Glück – sich im bloßen Zerstören und Zernichten erschöpfen musste; darin, das Große ebenfalls klein zu machen, weil es ihm anders nie gewachsen sein konnte.
Und so war es still in der Kirche, als die Lippen von Lukas und Luzi sich schließlich berührten und liebkosten – in einem Kuss, der sich all der Zuschauer bewusst war und sich deshalb mit einer Kürze und Züchtigkeit beschied, die gewiss nicht dem wahren Wunsch der Küssenden entsprach. Einem Kuss aber auch, der wusste, wie viele andere ihm noch folgen sollten, und dessen auferlegte Zurückhaltung auch etwas Herausforderndes hatte, weil sie den Anwesenden zeigte, wie viel Zärtlichkeit und Leidenschaft schon in diesen engen Rahmen passten und er das Versprechen all der späteren, zeugenlosen Küsse gleichsam zur Schau stellte.
So fand dann auch manch einer, es sei Hochmut in Luzis Blick, als ihr Lukas, ihr
Mann
, sie schließlich den Mittelgang entlang zur Kirche hinausgeleitete, an all den Mitgliedern derGemeinde vorbei. Aber was sie da zur Schau trug, war nur das Wissen ums eigene Glück, und dass die meisten der Anwesenden es ihr nicht gönnten – wie alle, die dem Glück abgeschworen haben, seine Gegenwart nicht ertragen mögen. Einmal mehr hätte sie es bereitwillig mit anderen geteilt, wie sich jedes Mal zeigte, wenn ihr Blick einem wohlgesinnten anderen begegnete und sein Strahlen wärmer und liebevoller wurde: Am meisten freilich gleich zu Beginn, als sie ihrer Mutter zulächelte, die in der vordersten Reihe mit der Rührung rang. Aber auch zuletzt noch einmal, als ihr Blick Greider in den letzten Bänken suchte und fand. Nur hatte sich da schon etwas in dieses Lächeln geschlichen, das sich gestählt zu haben schien gegen eine Anfeindung, die sich nicht im Neid der anderen erschöpfte. Lukas, im seitlichen Anblick seiner Angetrauten selig versunken, war ebenfalls immer nüchterner und beschwerter geworden mit jedem Schritt, der das Paar näher an die Kirchenschwelle brachte; das Aufrechte in Luzis Gang bekam etwas zunehmend Gewolltes.
So traten sie dann zuletzt ins Freie, und ihnen folgten zuerst die Trauzeugen nach und dann die sich geräuschvoll erhebende Gemeinde. Draußen wartete schon das mit Tannreisern geschmückte Gespann, das jetzt das Brautpaar gemeinsam zur Feier befördern sollte. Während noch die Leute aus der Kirche strömten und in der frischen Helle des Mittags und dem abklingenden Einfluss Breisers ihre Stimmen wiederfanden, führte Lukas seine Luzi, seine
Frau
, zu der Kutsche und hielt stützend ihre eine Hand, während sie ihre Röcke raffte und den Tritt zum Einstieg erklomm. Sie war nicht die Frau, die diese Hilfe nötig gehabt hätte – solche Frauen gab es hier im Tal nicht. Aber sie ließ sich
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