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Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal

Titel: Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Willmann
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Fleck fortjagen.
    Und immer noch konnte die Frau nicht die Augen schließen.
    Die wenigen verbliebenen Habseligkeiten in zusammengenähten Betttüchern auf dem Rücken, hatten die Eltern ihre geschwächten Körper schwer keuchend über die letzte steile Kehre und Kuppe und durch die schmale Pforte im Fels geschleppt. Und nun, da sich vor ihnen ein ebener Pfad erstreckte und mit den Kraftreserven nicht mehr aufs Äußerstegehaushaltet werden musste, hatte ihr Vater das vor Erschöpfung und nutzlosem Heulen fast bewusstlose Mädchen auf seine Schultern gehoben.
    Sie waren in eine Welt getreten, deren überwältigendes Grün alles zu halten schien, was die Gerüchte unten in der Ebene versprochen hatten. Dabei hatte der Vater an die Geschichten von diesem Ort kaum mehr Glauben gehabt als ans Märchen vom Schlaraffenland – doch wem sonst nur das sichere Verhungern blieb, dem war das genug. Beim Anblick des auf den Äckern des Hochtals stehenden Getreides hatten sich die Eltern an den Händen gefasst, und keiner von beiden hatte sich der Tränen der Erleichterung geschämt, die ihnen die Wangen herabströmten.
    Doch das so ewig nicht mehr gekannte Gefühl aufkeimender Hoffnung war ihnen nicht lange vergönnt gewesen: Ein Bauer, der auf einem der Felder gearbeitet hatte, stellte die drei armseligen Neuankömmlinge, und er ließ keine Zweifel, dass sie nicht willkommen waren. Nach einer kurzen Diskussion führte er sie ins Dorf, wo er alle erreichbaren Bewohner zusammentrommelte. So standen sie dann da, umringt von einer Menschenmenge, wie Angeklagte eines Prozesses gegen Verrat oder Hexerei. Nur das Kind schlief selig auf den Schultern seines Vaters, der nicht wagte, es herunterzuheben, weil er es nicht wecken wollte.
    Statt mit Mitleid sahen die Leute die Familie mit Feindseligkeit an, als wären deren Armut und Hunger ansteckende Dinge. Man war nicht begierig auf Neuankömmlinge, mit denen man das, was da war, teilen musste, bis es vielleicht auch hier zu wenig wurde. Das Betteln des einstigen Schusters, dass er bereit sei, jeden Dienst zu tun, gleich wie niedrig oder schwer, war vergebens: Eine Mahlzeit, die wollte man der ausgemergelten Familie sehr wohl spendieren, und womöglich noch etwas Zehrung für den Weg. Letztereraber sollte gefälligst schleunigst wieder aus dem Hochtal führen.
    Da erwachte plötzlich das Kind aus seinem Schlaf, schaute sich mit traumverkrusteten Augen um und begann lauthals zu plärren.
    Zwei, drei Frauen in der Menge schien das ein ungutes Gewissen zu machen. Aber an der Notwendigkeit und Richtigkeit der Entscheidung änderte das auch für sie sichtlich nichts, als dass sie diese etwas schwereren Herzens fällten.
    Doch ein Mann am Rand des Menschenauflaufs, ein kräftiger, junger Bärtiger, betrachtete das Mädchen und begann offensichtlich zu überlegen.
    »Wartet’s hier«, befahl er schließlich der Familie. »Könnt’ sein, dass sich was machen ließ.«
    Nach dem Tritt des Bärtigen standen die drei Männer unentschlossen um den sich vor Schmerz Krümmenden und Wimmernden herum, während das Kind sie erwartungsvoll anblickte. Auch der junge Bursche trat einmal zu, aber er tat es halbherzig. Sie hatten schon so viele Schläge und Tritte verabreicht, dass deren Wirkung für sie jede Besonderheit verloren hatte, ineinanderfloss wie jeder starke Reiz, der zu lange ohne Unterbrechung und Abwechslung anhält.
    Sie schauten auf die Frau, die schwach und hilflos strampelnd in den Armen des zweitältesten Bruders im Staub gefangen saß, als wäre von ihr eine Idee zu erwarten, was man ihrem Mann noch antun könne.
    Als sie die Blicke sah, schrie sie die Männer an, beschimpfte sie, Rotz und Tränen sprühend, bis all die Bezeichnungen für Bestien, Viecher, Tiere in ein wortlos überschnappendes, krampfhaftes Schluchzen und Heulen übergingen.
    Die Männer beobachteten das teilnahmslos, verloren auch an diesem sie scheinbar gar nicht betreffenden Schauspielschnell das Interesse. Da entfuhr dem jungen Burschen ein Laut, ein unartikuliertes Zeichen, dass ihm ein Einfall gekommen sei.
    In lässigem Trott lief er zu der Scheune, die am Wegrand stand, und verschwand darin. Eine Weile drang ein hölzernes Klappern und Räumen heraus, dann erschien der Bursche wieder im Scheunentor, einen Armvoll unhandlicher Gerätschaften mehr hervorschleifend als -schleppend. Es waren drei Dreschflegel.
    Es gab etliches aus ihren ersten Jahren im Tal, was sie sich nur später aus wenig Erzähltem und einigem

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