Das finstere Tal - Willmann, T: Das finstere Tal
duftend, als wäre sie eigens über die dichten Wiesen, durch die kühlen Waldwege gestreift, um sich fein zu parfümieren für den Empfang der frischgebackenen Braut. Diese Luft tat wohl nach dem von Rauch, Schweiß und Bier getränkten Dunst des Wirtshauses, das langsam mitsamt dem Lärm der dort noch immer Feiernden im Rücken des Pferdewagens in der Ferne verschwand. Aber vor dem Wirtshaus stand – kaum noch zu erkennen – machtlos eine einsame Gestalt. Es war der Mann, der in einer gerechteren Welt jetzt neben seiner Braut auf dem Wagen gesessen und sie auf dem Weg in ihr Heim im Arm gehalten hätte.
Es kostete die Frau all ihre Entschlossenheit, sich nicht nach ihm umzuschauen. Still rannen ihr Tränen des Schmerzes und der Wut über die Wangen, aber sie wusste, dass noch ein einziger Blick auf ihren Liebsten für sie beide vollends unmöglich machen würde, zu ertragen, was zu ertragen ihr vorgeschrieben war. Sie bewahrte ihn stattdessen in ihrem Herzen und Geist und wollte sein Bild vor sich behalten, bis alles vorüber war und sie ihn wieder wahrhaftig in die Arme schließen konnte.
Der Wagen rollte durch die laue Nacht in die Tiefe des Talkessels.
Die Männer hatten zwei ihrer Pferde geholt, nebeneinander aufgestellt, und während der kleine Junge sie an den Zügeln festhielt, banden der Bärtige und der mittlere Bruder an die Sättel zwei Seile, deren andere Enden an dem Holzbalken vertäut waren.
Der Pfarrer und der Schmied hatten unterdessen die übrigen drei Gäule herbeigeführt und waren aufgesessen. Der Bursche, der die Frau noch immer im Klammergriff hielt, stand aus der Hocke auf und zwang sie, sich mit aufzurichten, wollte sie sich nicht die Schultern ausrenken lassen. Der Schmied ritt ein Stück heran, und der Bursche, der ihr nun den rechten Arm auf den Rücken gedreht hatte, führte sie zu ihm. Sie kam dabei ihrem bewusstlos im Staub liegenden, geschundenen Mann so nahe, dass es nur drei, vier Schritte gewesen wären, sich zu ihm zu stürzen, ihn in die Arme zu nehmen, Liebkosung, Tränen und Trost zu spenden – die nichts mehr geändert hätten, außer dass sie ein Zeichen gewesen wären, dass die Welt noch immer andere Dinge kannte als Grausamkeit und Schmerz. Aber der Bursche spürte schon das geringste, ihr selbst erst halb bewusste Zucken ihres Körpers in diese Richtung und trieb es ihr mit einem teilnahmslos brutalen Ruck an ihrem Arm aus, der sie in die Knie sinken und aufschreien ließ.
Es blieb ihr nichts, außer sich von ihm neben das Pferd des Schmieds dirigieren und in den Sattel heben zu lassen, sodass sie in der Umklammerung des Hünen saß. Er hielt sie umfangen wie ein Liebhaber die Braut, die er des Nachts aus dem Elternhaus entführt hat. Lachend beäugte das der Pfarrer, der selbst schon zum Abritt bereit saß und sein ungeduldig tänzelndes Pferd nur mühsam auf der Stelle halten konnte.
Auch die anderen schwangen sich in die Sättel, der Zweitälteste reichte seine Hand dem kleinen Buben, der sich daran äffchengleich behände hinaufzog und Platz fand hinter dem Mann, den er seinerseits fast zärtlich umklammerte. Dann gaben alle ihren Tieren die Sporen, und der kleine Tross setzte sich in Bewegung.
Das Gespann rollte ächzend über eine letzte Kuppe, und das Ziel der Fahrt wurde vor ihnen sichtbar. Es war der Ort, von dem sie viel gehört hatte und sich noch mehr ausgemalt. Und sie erschrak, wie sehr der Hof des Brenner – auch wenn er kleiner und von anderem Aussehen war als geträumt, auch wenn er eben doch nur ein Gebäude war – doch die gleiche Essenz des Lauernden und Bösen, die Anmutung von Falle und Finsternis verströmte wie ihre Angstträume.
»Bist noch wach?« rief ihr einer der Brenner-Söhne frech lachend zu, der neben dem Wagen herritt.
Sie blickte zu ihm hinüber, würdigte ihn aber keiner Antwort. Dann richtete sie ihre Augen wieder geradeaus und versuchte, sie nichts sehen zu lassen als das Gedankenbild ihres Liebsten.
Als Wagen und Pferde aber dem Hof nahe genug gekommen waren, damit dort unten schon ihre Ankunft hörbar wurde, da tat sich die schwere, enge Tür des Anwesens auf. Und es trat einer heraus, der schon darauf wartete, die Frau in seine starken Arme zu nehmen. So wie er jeder Braut hier im Tal die Hochzeitsnacht bereitete.
Sosehr sie es sich auch verbat – sosehr sie gehofft hatte, dass sie in der von ihr verlangten, unabwendbaren Unterwerfung nur eins zeigen würde, nämlich ihre grenzenlose Verachtung, und sie sich nicht
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