Das Flammende Kreuz
Jetzt wich die Anspannung von ihm, und seine Schultern lockerten sich. Er machte eine kleine Bewegung, und plötzlich ließ die untergehende Sonne sein Hemd wie einen goldenen Strahlenkranz aufleuchten und sein Haar aufflammen.
Er zog seinen Dolch aus der Scheide am Boden, und ohne zu zögern, zog er die Klinge quer über die Finger seiner rechten Hand. Ich konnte die schmale, dunkle Linie sehen, die sich über seine Fingerspitzen zog, und biss mir auf die Lippen. Er wartete ein paar Sekunden, bis das Blut aufquoll, dann schüttelte er die Hand mit einer plötzlichen, festen Bewegung seines Handgelenkes, so dass Blutstropfen von seinen Fingern flogen und den aufrechten Stein an der Quelle trafen.
Er legte den Dolch zu Füßen des Steins nieder und bekreuzigte sich mit den blutenden Fingern seiner rechten Hand. Dann kniete er ganz langsam nieder und beugte den Kopf über seine gefalteten Hände.
Ich hatte ihn natürlich schon dann und wann beten gesehen, aber immer in der Öffentlichkeit. Jetzt ging er eindeutig davon aus, dass er allein war, und zu beobachten, wie er dort blutbefleckt kniete und seine Seele darbot, gab mir das Gefühl, einen Akt zu bespitzeln, der persönlicher war als jede körperliche Intimität. Ich hätte mich gern bewegt oder etwas gesagt, doch es wäre mir wie eine Entweihung vorgekommen, wenn ich ihn unterbrach. Ich
verharrte also schweigend, stellte jedoch fest, dass ich nicht länger nur Zuschauerin war; auch mein Geist hatte sich unbeabsichtigt dem Gebet zugewandt.
» O Herr «, formten sich die Worte in meinem Kopf, ohne dass ich sie bewusst dachte, » in Deine Hände befehle ich die Seele Deines Dieners James . Bitte hilf ihm .« Und dachte dann vage, hilf ihm wobei?
Dann bekreuzigte er sich erneut, und die Zeit setzte sich wieder in Bewegung, ohne dass ich bemerkt hatte, dass sie stehen geblieben war. Ich war schon bergab zu ihm unterwegs, und das Gras streifte meine Füße, ohne dass ich mich hätte erinnern können, den ersten Schritt getan zu haben. Ich konnte mich auch nicht entsinnen, dass er aufgestanden war, aber auch Jamie kam mir jetzt entgegen. Er machte keinen überraschten Eindruck, sondern sein Gesicht leuchtete bei unserem Anblick.
» Mo chridhe «, sagte er leise und beugte sich zu mir herab, um mich zu küssen. Seine Bartstoppeln waren rau, und seine Haut war immer noch kalt und frisch vom Wasser.
»Zieh dir lieber deine Hose wieder an«, sagte ich. »Sonst erfrierst du noch.«
»Ich werd’s überleben. Ciamar a tha thu, a ruaidh ?«
Zu meiner Überraschung war Jemmy wach. Der Speichel triefte ihm aus dem Mund, die blauen Augen in seinem rosigen Gesicht waren weit geöffnet, und jeder Hauch von Mürrischkeit war spurlos verschwunden. Er beugte sich vor und wand sich, um nach Jamie zu greifen, der ihn mir sanft aus den Armen nahm und ihn an seine Schulter legte. Dann zog er ihm die Wollmütze fest über die Ohren.
»Wir bekommen einen Zahn«, sagte ich zu Jamie. »Er hat sich unwohl gefühlt, also dachte ich mir, vielleicht etwas Whisky für sein Zahnfleisch... und wir hatten keinen im Haus.«
»Oh, aye. Ich glaube, das lässt sich machen. Ich habe noch etwas in meiner Flasche.« Er trug das Baby zu der Stelle, wo seine Kleider lagen, bückte sich und kramte mit einer Hand suchend herum, dann richtete er sich mit der zerbeulten Zinnflasche auf, die er an seinem Gürtel trug.
Er setzte sich auf einen Felsen, balancierte Jemmy auf den Knien und reichte mir die Flasche zum Öffnen.
»Ich war in der Mälzerei«, sagte ich und zog den Korken mit einem leisen Plop heraus, »aber das Fass war fort.«
»Aye, Fergus hat es. Warte, ich mache das, meine Hände sind sauber.« Er hielt mir seinen linken Zeigefinger hin, und ich ließ ein wenig Alkohol darauf tropfen.
»Was macht Fergus denn damit?«, fragte ich und setzte mich neben ihn auf den Felsen.
»Er bewahrt es auf«, antwortete er einsilbig. Er steckte Jemmy den Finger in den Mund und massierte ihm sanft das geschwollene Zahnfleisch. »Oh,
da ist es. Aye, das tut ein bisschen weh, nicht wahr? Autsch!« Er senkte die Hand und zog Jemmys Finger vorsichtig aus den Haaren auf seiner Brust.
»Apropos...«, sagte ich und griff nach seiner rechten Hand. Er nahm Jemmy auf den anderen Arm und überließ mir die Hand. Ich drehte seine Finger nach oben.
Es war ein sehr oberflächlicher Schnitt, der gerade eben über die Spitzen der ersten drei Finger lief - die Finger, mit denen er sich bekreuzigt hatte. Das Blut war
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