Das Flammende Kreuz
hob Jemmy hoch, der sich aufbäumte und wand wie ein Fisch auf dem Trockenen und heftig dagegen protestierte, zwangsgewickelt zu werden. Er trat mir in den Bauch. »Oh, Kind, nun hör doch auf damit.«
Jamie streckte die Hände aus, packte das Baby unter den Armen und hob es von meinem Schoß.
»Komm, ich nehme ihn. Braucht er noch Whisky?«
»Ich weiß es nicht, aber wenigstens kann er nicht plärren, wenn er deinen Finger im Mund hat.« Ich überließ ihm Jemmy mit beträchtlicher Erleichterung und widmete mich erneut meinem Gedankengang.
»Boston ist schon seit über hundert Jahren besiedelt, selbst jetzt«, sagte ich. »Dort gibt es Dörfer und Farmen - und die Farmen sind nicht weit von den Dörfern entfernt. Die Leute leben schon lange dort, jeder kennt jeden.«
Jamie nickte bei jeder dieser verblüffenden Enthüllungen geduldig in dem festen Vertrauen, dass ich irgendwann zur Sache kommen würde. Was ich auch tat, nur um festzustellen, dass er mir genau dasselbe gerade vor Augen geführt hatte.
»Wenn also dort jemand eine Miliz einberuft«, sagte ich und begriff plötzlich, was er mir die ganze Zeit erklärt hatte, »dann kommen sie, weil sie es gewohnt sind, gemeinsam zu kämpfen und ihre Wohnorte zu verteidigen, und weil keiner von ihnen von seinen Nachbarn für einen Feigling gehalten werden möchte. Hier dagegen...« Ich biss mir auf die Lippe und betrachtete die hohen Berge ringsum.
»Aye«, sagte er und nickte, als er sah, dass in meinem Gesicht die Erkenntnis dämmerte. »Hier ist es anders.«
Es gab im Umkreis von hundert Meilen keine Siedlung, die so groß war, dass sie die Bezeichnung »Ortschaft« verdient hätte, ausgenommen die Herrnhuter in Salem. Davon abgesehen gab es im Hinterland nur verstreute Heimstätten; manchmal auch einen Ort, wo sich eine Familie niedergelassen und ausgebreitet hatte, und wo Brüder oder Vettern ihre Häuser in Sichtweite der jeweils anderen errichtet hatten. Kleine Siedlungen und entlegene Blockhütten, oft in den Bergtälern verborgen und von Lorbeerbüschen verdeckt, deren Bewohner manchmal monate- oder gar jahrelang keinen anderen Weißen zu Gesicht bekamen.
Die Sonne war hinter dem steilen Berghang versunken, aber sie spendete immer noch Licht, ein kurzes Farbenspiel, das die Bäume und Felsen ringsum in Gold tauchte und die Gipfel in der Ferne blau und violett färbte. Ich wusste, dass es in dieser kalten, leuchtenden Landschaft Leben gab, dass sich ganz in der Nähe Heimstätten befanden, in denen sich warme Körper regten; doch so weit das Auge sehen konnte, bewegte sich nichts.
Die Siedler in den Bergen würden ihren Nachbarn fraglos helfen - weil es jederzeit möglich sein konnte, dass sie selbst solche Hilfe brauchten. Schließlich gab es sonst niemanden, an den man sich wenden konnte.
Doch sie hatten noch nie für ein gemeinsames Ziel gekämpft, hatten nichts gemein, was es zu verteidigen gab. Und ihre Häuser zu verlassen und ihre Familien schutzlos zurückzulassen, um der Laune eines weit entfernten Gouverneurs zu genügen? Einige würden sich möglicherweise durch ein vages Pflichtgefühl gedrängt fühlen; andere würden aus Neugier kommen, aus Rastlosigkeit oder in der vagen Hoffnung auf Profit. Doch die meisten würden nur gehen, wenn sie von einem Mann gerufen wurden, den sie respektierten; einem Mann, dem sie vertrauten.
Ich bin weder ihr Gutsherr noch ihr Familienoherhaup t, hatte er gesagt. Nicht von Geburts wegen, nein - aber dennoch dazu geboren. Wenn er es wollte, konnte er sich zu ihrem Anführer machen.
»Warum?«, fragte ich leise. »Warum willst du es tun?« Von den Felsen stiegen Schatten auf und verschluckten langsam das Licht.
»Verstehst du das denn nicht?« Er wandte mir den Kopf zu und zog eine Augenbraue hoch. »Du hast mir gesagt, was in Culloden passieren würde - und ich habe dir geglaubt, Sassenach, so furchtbar es auch war. Die Männer von Lallybroch haben ihre sichere Heimkehr genauso sehr dir zu verdanken wie mir.«
Das stimmte nicht ganz; jeder Mann, der mit der Highlandarmee nach Nairn marschiert war, musste gewusst haben, dass eine Katastrophe vor ihm lag. Dennoch... ich hatte meinen kleinen Beitrag leisten können, indem ich dafür sorgte, dass Lallybroch vorbereitet war, nicht nur auf die Schlacht, sondern auch auf ihre Folgen. Das kleine Gewicht der Schuld, das ich jedes Mal spürte, wenn ich an den Aufstand dachte, hob sich ein wenig, und mir wurde leichter ums Herz.
»Nun, vielleicht. Aber was
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