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Das Flammende Kreuz

Titel: Das Flammende Kreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Eine schlichte Hand- und Gesichtswäsche hätte gereicht, dachte ich - und sie hätte sich sehr viel angenehmer in der Küche am Herd erledigen lassen.
    Doch er stand auf, ergriff den kleinen Eimer, der am Rand der Quelle stand, füllte ihn mit kaltem Wasser und übergoss sich gezielt damit. Er schloss die Augen und biss die Zähne zusammen, als es über seine Brust und seine Beine strömte. Ich konnte sehen, wie sich seine Hoden schutzsuchend hochzogen, als das eisige Wasser durch sein buschiges, dunkelrotes Schamhaar spülte und von seinem Glied tropfte.
    »Dein Großvater hat nicht mehr alle Tassen im Schrank«, flüsterte ich Jemmy zu, der sich im Schlaf regte und eine Grimasse zog, jedoch keinerlei Notiz vom eigentümlichen Verhalten seines Ahnherrn nahm.
    Ich wusste, dass Jamie nicht völlig unempfindlich gegen die Kälte war; vom Schutz des Felsens aus konnte ich sehen, dass er nach Luft schnappte und zitterte, und ich erschauerte mitfühlend. Als waschechter Highlander störte er sich nicht an Dingen wie Kälte, Hunger oder generellem Unwohlsein. Dennoch fand ich, dass er es hier mit der Reinlichkeit übertrieb.
    Er holte tief und keuchend Luft und übergoss sich ein zweites Mal mit Wasser. Als er sich bückte, um den Eimer ein drittes Mal zu füllen, dämmerte mir langsam, was er tat.
    Ein Chirurg wäscht sich natürlich vor einer Operation aus Sauberkeitsgründen, aber das ist es nicht allein. Das Ritual des Einseifens der Hände, der Nagelreinigung, des Abspülens der Haut, wieder und wieder, bis es fast schmerzt, ist genauso sehr eine geistige wie eine körperliche Handlung. Dieser Akt des obsessiven Waschens dient dazu, die Konzentration des Verstandes zu schärfen und den Geist vorzubereiten; man wäscht sich von äußerlichen Problemen frei, spült jede belanglose Ablenkung genauso fort, wie man sich von den Keimen und Hautschuppen befreit.
    Ich hatte das oft genug getan, um das Ritual zu erkennen, wenn ich es sah. Jamie wusch sich nicht einfach; er reinigte sich innerlich, und das kalte Wasser war nicht nur ein Schmutzlöser, sondern auch ein Mittel der Kasteiung. Er bereitete sich auf etwas vor, und der Gedanke ließ mir ein kleines Rinnsal über den Rücken laufen, so kalt wie das Quellwasser.
    Und genau, nach dem dritten Guss stellte er den Eimer ab und schüttelte sich, so dass die Tropfen von seinen nassen Haarspitzen wie Regen ins Gras prasselten. Kaum mehr als halb trocken, zog er sich das Hemd wieder über den Kopf und wandte sich nach Westen, wo die Sonne tief über den Bergen stand. Einen Augenblick stand er still - ganz still.
    Das Licht strömte so hell durch die blattlosen Bäume, dass ich ihn von meinem Beobachtungspunkt aus nur als Silhouette sehen konnte, das feuchte Leinen seines Hemdes von Licht durchflutet, sein dunkler Körper ein Schatten unter dem Stoff. Er stand mit erhobenem Kopf da, die Schultern gerade, ein Mann, der lauscht.

    Worauf? Ich versuchte, meine Atemgeräusche zu unterdrücken, und presste den Kopf des Babys sanft an meine Schulter, damit es nicht aufwachte. Ich lauschte ebenfalls.
    Ich konnte den Klang des Waldes hören, ein ständiges, sanftes Seufzen von Nadeln und Ästen. Der Wind wehte nur schwach, und in meiner Nähe konnte ich das Wasser der Quelle hören, die gedämpft über Steine und Wurzeln rauschte. Ich hörte sehr deutlich, wie mein Herz schlug und Jemmy an meinem Hals atmete, und plötzlich bekam ich Angst - als seien die Geräusche zu laut, als könnten sie die Aufmerksamkeit von etwas Gefährlichem auf uns lenken.
    Ich erstarrte, stellte jede Bewegung ein, versuchte, nicht zu atmen und ein Teil des Waldes ringsum zu werden, wie ein Kaninchen unter einem Busch. Jemmys Puls schlug blau, eine zarte Vene, die sich über seine Schläfe zog, und ich beugte meinen Kopf darüber, um sie zu verbergen.
    Jamie sagte irgendetwas auf Gälisch. Es klang wie eine Herausforderung - oder vielleicht ein Gruß. Die Worte kamen mir vage bekannt vor - doch es war niemand da; die Lichtung war leer. Die Luft fühlte sich plötzlich kälter an, als hätte das Licht nachgelassen; eine Wolke, die sich vor die Sonne schob, dachte ich, und blickte auf - doch es waren keine Wolken zu sehen; der Himmel war klar. Jemmy bewegte sich plötzlich aufgeschreckt in meinen Armen, und ich hielt ihn fester umklammert und beschwor ihn, kein Geräusch zu machen.
    Dann kam wieder Bewegung in die Luft, die Kälte legte sich, und mein Angstgefühl verschwand. Jamie hatte sich nicht geregt.

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