Das Flammende Kreuz
scherzte er und bedauerte es augenblicklich, als er den Schatten in ihren Augen sah. Er zog so schnell vorbei wie eine Sommerwolke, aber er war dennoch da gewesen.
Er beugte sich über Jemmy und wackelte mit dem Finger. Das Baby griff danach, dann zögerte es, zwischen der alten und der neuen Attraktion hin und her gerissen, entschied sich schließlich für die Neue und fing an, mit Feuereifer auf dem Finger zu kauen.
»Jedenfalls nicht vom künstlerischen Standpunkt aus.« Sie fuhr mit der Klinge ihres Taschenmessers schräg über die Spitze des Kohlestiftes, um ihn
anzuspitzen. »Sie haben keine Knochen - keine sichtbaren, meine ich. Und es sind die Knochen, die die Struktur eines Gesichtes zum Vorschein bringen; ohne Knochen ist da nicht sehr viel.«
Ob Knochen oder nicht, sie hatte ein bemerkenswertes Talent dafür, Ausdrucksnuancen einzufangen. Er lächelte über eine Zeichnung; Jemmys Gesicht trug den gebannten, unverwechselbaren Ausdruck eines Säuglings, der sich mit aller Kraft auf die Produktion einer wahrhaft Furcht erregenden Windel konzentriert.
Abgesehen von den Bildern, die Jemmy zeigten, gab es noch mehrere Seiten, die wie Konstruktionsentwürfe aussahen. Da ihn diese nicht besonders interessierten, bückte er sich und stellte das Skizzenbuch zurück, um ein anderes herauszuziehen.
Er begriff sofort, dass es kein Skizzenbuch war. Die Seiten waren dicht in Briannas ordentlicher, spitzer Handschrift beschrieben. Er blätterte neugierig darin herum; es war kein richtiges Tagebuch, sondern schien eine Art Protokoll ihrer Träume zu sein.
»Letzte Nacht habe ich geträumt ich hätte mir die Beine rasiert.«
Roger lächelte über die Belanglosigkeit ihres Traums, doch ein inneres Bild von Briannas langen, glänzenden Schienbeinen ließ ihn weiter lesen.
Ich habe Daddys Rasierer und Rasierschaum benutzt und gedacht, dass er meckern würde, wenn er es herausfand, aber ich habe mir keine großen Gedanken darüber. gemacht. Der Rasierschaum war in einer weißen Dose mit roter Schrift, und es stand Old Spice darauf. Ich weiß gar nicht, ob es einen solchen Rasierschaum je geseben hat, aber danach hat Daddy immer gerochen, Old Spice Aftershave und Zigarettenrauch. Er hat nichtgeraucht aber seine Kollegen, und seine Jacketts haben immer gerochen wie das Wohnzimmer nach einer Party.
Roger holte Luft und atmete damit halb bewusst die Gerüche seiner Erinnerung ein, frisches Gebäck und Tee, Möbelpolitur und Ammoniak. Keine Zigaretten bei den hochanständigen Zusammenkünften im Salon des Pfarrhauses - und doch hatten auch die Jacketts seines Vaters nach Rauch gerochen.
Gayle hat mir einmal erzählt dass sie mit Chris ausgegangen war und keine Zeit gehabt hatte, sich die Beine zu rasieren, und dann hat sie den ganzen Abend versucht zu verhindern, dass er ihr die Hand aufs Knie legte, weil sie Angst hatte, er könnte die Stoppeln spüren. Daran musste ich hinterher immer denken, wenn ich mir die Beine rasiert habe, und ich bin mit den Fingern über meinen Oberschenkel gefahren, um herauszufinden, ob ich dort etwas spüren konnte oder ob es okay war, wenn ich am Knie aufhörte.
Das Haar auf Briannas Oberschenkeln war so fein, dass man es nicht spüren konnte und er es nur dann sah, wenn sie sich nackt über ihm aufrichtete und die Sonne in ihrem Rücken ihren Körper vergoldete und dabei diese geheime Schicht durchleuchtete. Der Gedanke, dass niemand außer ihm es je sehen würde, erfüllte ihn mit Wärme und Zufriedenheit, wie einen Geizkragen, der jedes goldene und kupferne Haar zählte und sich an seinem geheimen Schatz erfreute, ohne je befürchten zu müssen, dass er gestohlen wurde.
Er blätterte um. Er hatte ein unaussprechlich schlechtes Gewissen über sein Eindringen in ihre Privatsphäre, wurde jedoch von einem unwiderstehlichen Drang getrieben, die Intimität ihrer Träume zu durchdringen, zu erfahren, welche Bilder ihren schlafenden Geist erfüllten.
Die Einträge waren undatiert, doch jeder begann mit denselben Worten: Letzte Nacht habe ich geträumt.
Letzte Nacht habe ich geträumt, dass es regnete. Kaum überraschend, da es tatsächlich regnet, schon seit zwei Tagen. Als ich heute Morgen zum Abort gegangen bin, musste ich vor der Tür über eine große Pfütze hüpfen, und an der schlammigen Stelle bei den Brombeeren bin ich bis zu den Knöcheln eingesunken.
Als wir gestern Abend zu Bett gegangen sind, hämmerte der Regen auf unser Dach. Es war so schön, sich mit
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