Das Flammende Kreuz
hatte die Stirn konzentriert in kleine Falten gelegt. Jetzt beugte sie sich vor und streckte die Hand nach dem flachen Tisch mit dem Frühstücksgeschirr aus. Sie tastete sich vor, indem sie hier und dort mit den Fingern klopfte, um zu finden, was sie suchte, und ergriff schließlich einen kleinen Silberbecher.
»Du hast mir doch den Becher gebracht, aus dem Betty getrunken hat«, sagte sie zu Jamie und hielt ihm den Becher hin, den sie in der Hand hatte. »Es war so einer, aye?«
Der Becher war aus Sterlingsilber und noch so neu, dass die eingravierten Verzierungen kaum zu sehen waren. Später, wenn das Metall eine Patina bekam, würden die Rillen der Gravur schwarz anlaufen und dadurch hervorstechen, doch vorerst verschwanden der Buchstabe »I« und die kleinen Fische, die ihn umschwammen, noch fast vollständig im Glanz des Metalls.
»Aye, so einer ist es gewesen, Tante Jocasta«, erwiderte Jamie und berührte die Hand, die ihm den Becher entgegenhielt. »Brianna sagt, er gehört zu einem ganzen Satz?«
»Ja. Ich habe sie Duncan am Morgen unserer Trauung zur Hochzeit geschenkt.« Sie stellte den Becher hin, legte jedoch ihre langen Finger quer darüber. »Duncan und ich haben zum Frühstück aus zwei von diesen Bechern getrunken, aber die anderen vier sind hier geblieben.« Sie wies mit der Hand hinter sich auf die kleine Anrichte an der Wand, auf der die Teller mit dem Schinken und den Spiegeleiern standen. An der Rückseite lehnten Schmuckteller aufrecht an der Wand, unterbrochen von einem Satz kristallener Sherrygläser. Ich zählte; jetzt standen alle sechs Silberfischbecher auf dem Tisch, gefüllt mit Portwein, den Jocasta anscheinend gern zum Frühstück trank. Nichts deutete jedoch darauf hin, welcher von ihnen den präparierten Punsch enthalten hatte.
»Du hast doch am Hochzeitstag keinen von diesen Bechern nach unten in den Salon gebracht, oder, Ulysses?«, fragte sie.
»Nein, Madam.« Bei diesem Gedanken zog er ein schockiertes Gesicht. »Natürlich nicht.«
Sie nickte und wandte ihre blinden Augen erst in Jamies Richtung, dann in meine.
»Da seht ihr es«, sagte sie. »Es war Duncans Becher.«
Duncan machte zuerst ein erschrockenes, dann ein beklommenes Gesicht, als er zu begreifen begann, was ihre Worte bedeuteten.
»Nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Ach, nein. Das kann doch gar nicht sein.« Doch kleine Schweißtröpfchen hatten auf der verwitterten Haut seines Kinns einen Taufilm gebildet.
»Hat dir vorgestern irgendjemand etwas zu trinken angeboten, a charaid ?«, fragte Jamie und beugte sich konzentriert vor.
Duncan zuckte hilflos mit den Achseln.
»Selbstverständlich, Gott und jedermann!«
Natürlich. Er war schließlich der Bräutigam. Doch angesichts seiner nervenbedingten Verdauungsprobleme hatte er keine der angebotenen Erfrischungen angenommen. Auch hatte er nicht besonders darauf geachtet, ob ihm irgendeine davon in einem silbernen Becher serviert worden war.
»Ich war so abgelenkt, Mac Dubh , dass es mir nicht einmal aufgefallen wäre, wenn mir jemand eine lebende Schlange angeboten hätte.« Ulysses nahm eine Leinenserviette vom Tablett und hielt sie Duncan unauffällig hin. Dieser ergriff sie kommentarlos und wischte sich das Gesicht ab.
»Dann... glaubst du also, dass jemand versucht hat, Duncan etwas anzutun?« Das Erstaunen in Rogers Stimme war nicht unbedingt schmeichelhaft, aber Duncan schien es ihm nicht übel zu nehmen.
»Aber warum denn?«, sagte er verwirrt. »Wer sollte mich denn so hassen?«
Jamie gluckste vor sich hin, und die Spannung am Tisch lockerte sich ein wenig. Es stimmte: Duncan war zwar ein intelligenter, fähiger Mann, doch er war von so bescheidener Natur, dass man sich unmöglich vorstellen konnte, dass er jemanden verärgert hatte, und erst recht nicht, dass er ihn zu mörderischer Wut getrieben hatte.
»Nun ja, a charaidh «, sagte Jamie taktvoll, »vielleicht war es ja gar nicht persönlich gemeint.« Er fing meinen Blick auf und zog eine ironische Grimasse. Auch ihm hatte man schon mehr als einmal nach dem Leben getrachtet, und die Gründe hatten nur damit zu tun, wer er war, nicht damit, was er getan hatte. Nicht, dass man nicht auch schon gelegentlich versucht hatte, ihn aufgrund von Dingen umzubringen, die er getan hatte.
Jocasta schien es ähnlich zu sehen.
»In der Tat« sagte sie trocken. »Das habe ich mir auch schon gedacht. Erinnerst du dich noch, was beim gathering geschehen ist, Jamie?«
Jamie zog eine Augenbraue
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