Das Flammende Kreuz
sicherzugehen, dass ihr Inhalt in der letzten Viertelstunde nicht verdampft war.
Es war ansteckend. Ich ertappte mich dabei, dass ich noch einmal mit den Fingern über die Glasflaschen in meiner Truhe wanderte und in Gedanken die Namen murmelte, bis sie verschwammen wie die Worte eines Rosenkranzes und ihre Bedeutung in der Intensität der Bitte unterging. Rosmarin, Atropin , Lavendel, Gartenraute...
Brianna fiel inmitten all dieser Geschäftigkeit durch ihre Reglosigkeit auf. Sie saß auf ihrem Felsen, und das Einzige was sich an ihr regte, waren die vom Wind bewegten Falten ihres Rockes. Ihr Blick war fest auf die ferne Baumlinie geheftet. Ich hörte, dass sie etwas sagte, und drehte mich um.
»Was hast du gesagt?«
»Es steht nicht in den Büchern.« Sie wandte die Augen nicht von den Bäumen
ab und hielt die Hände fest in ihrem Schoß verknotet, als könnte sie Roger beschwören, zwischen den Weiden aufzutauchen. Sie hob das Kinn und wies auf das Feld, die Bäume, die Männer ringsum.
»Das hier«, sagte sie. »Es steht nicht in den Geschichtsbüchern. Ich habe über das Massaker von Boston gelesen. Ich habe es dort gesehen, in den Geschichtsbüchern, und ich habe es hier gesehen, in den Zeitungen. Aber das hier habe ich nirgendwo gefunden. Ich habe kein einziges Wort über Gouverneur Tryon gelesen oder über North Carolina oder einen Ort namens Alamance. Also wird auch nichts geschehen.« Ihre Worte klangen heftig und beschwörend. »Wenn es hier eine große Schlacht gäbe, hätte irgendjemand irgendetwas darüber geschrieben. Das hat aber keiner getan - also wird auch nichts geschehen. Gar nichts!«
»Hoffentlich hast du Recht«, sagte ich, und das Kältegefühl in meinem Rücken taute ein wenig auf. Vielleicht stimmte es ja. Zumindest konnte es keine große Schlacht werden. Wir standen keine vier Jahre vor dem Ausbruch der Revolution; selbst die kleineren Scharmützel, die diesem Konflikt vorangingen, waren gut dokumentiert.
Das Massaker von Boston hatte sich vor etwas mehr als einem Jahr ereignet - ein Straßenkampf, ein Zusammenstoß zwischen einem Pöbel und einem Zug nervöser Soldaten. Beleidigungsrufe, ein paar Steine waren geflogen. Ein unautorisierter Schuss, eine panische Salve und fünf Tote. Eine der Bostoner Zeitungen hatte nach heftigen redaktionellen Korrekturen darüber berichtet; ich hatte sie in Jocastas Salon gesehen; einer ihrer Freunde hatte ihr ein Exemplar geschickt.
Und zweihundert Jahre später wurde dieser kleine Zwischenfall als Beweis für die wachsende Unzufriedenheit der Kolonisten in den Schulbüchern der Kinder verewigt. Ich sah die Männer an, die ringsum standen und sich kampfbereit machten. Sollte es hier zu einer bedeutenden Schlacht kommen, in der ein Königlicher Gouverneur einen Aufstand niederschlug, der im Grunde eine Rebellion der Steuerzahler war, war das doch wohl eine Erwähnung wert.
Doch das war alles Theorie. Und mir war unangenehm bewusst, dass weder der Krieg noch die Geschichte sich großartig darum scherten, was geschehen sollte .
Jamie stand bei Gideon, den er an einen Baum gebunden hatte. Er würde mit seinen Männern zu Fuß in die Schlacht ziehen. Er holte seine Pistolen aus der Satteltasche und steckte die zusätzliche Munition in den Beutel an seinem Gürtel. Er hielt den Kopf gesenkt und konzentrierte sich ganz auf die Einzelheiten seines Tuns.
Ich spürte ein plötzliches, angstvolles Drängen. Ich musste ihn berühren, etwas zu ihm sagen. Ich versuchte, mir einzureden, dass Brianna Recht hatte; dies war gar nichts; wahrscheinlich würde kein einziger Schuss fallen - und doch standen dreitausend Männer an den Ufern des Alamance, und man konnte fast hören, wie ihre Gedanken um nichts als Blutvergießen kreisten.
Ich ließ Brianna auf ihrem Felsen sitzen, wo sie mit brennenden Augen auf den Wald starrte, und eilte zu ihm.
»Jamie«, sagte ich und legte ihm eine Hand auf den Arm.
Es war, als berührte man einen Hochspannungsdraht; Energie durchsummte ihn unter der Isolation seiner Haut, um bei nächster Gelegenheit knisternd und blitzend zu explodieren. Es heißt, dass man einen solchen Draht nicht mehr loslassen kann; das Opfer des Elektroschocks klebt einfach an dem Draht fest, unfähig, sich zu bewegen oder zu retten, während der Strom ihm Hirn und Herz verbrennt,
Er legte seine Hand auf die meine und sah mich an.
» A nighean donn «, sagte er und lächelte schwach. »Bist du gekommen, um mir Glück zu wünschen?«
Ich erwiderte
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