Das Flammende Kreuz
dort Kannibalen«, stimmte er mir zu. »Ich kann aber nicht sagen, dass ich schon einmal von einem Kannibalen als Sklaven gehört habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man so jemanden gern im Haus hätte, aye? Man hätte ja Angst, dass er einem in den Hintern beißt, sobald man ihm den Rücken zuwendet.«
Diese Bemerkung rief allgemeines Gelächter hervor und löste die Spannung ein wenig. Alles regte sich jetzt und machte sich zum Schlafen fertig.
Wir verwandten besondere Sorgfalt darauf, unsere Nahrungsmittel in zwei Satteltaschen zu verstauen, die Jamie ein Stück vom Lager entfernt an einen Baum hängte. Auch wenn sich herausgestellt hatte, dass der Geisterbär weniger mächtig war als bis dato angenommen, stimmten wir unausgesprochen überein, dass es vernünftig war, kein Risiko einzugehen.
Normalerweise bereitete es mir keine Probleme, den Gedanken zu verdrängen, dass wir in der Wildnis lebten. Dann und wann tauchte allerdings der Beweis greifbar auf: Nächtliche Besuche von Füchsen, Opossums und
Waschbären oder der gelegentliche, unheimliche Schrei eines Panthers, der verblüffende Ähnlichkeit mit Frauenrufen oder dem Geschrei kleiner Kinder hatte. Hier, wo wir waren, war es jetzt still. Doch es war unmöglich, nachts inmitten dieser Berge zu stehen und eingehüllt in die völlige Schwärze zu ihren Füßen dem geheimen Murmeln der hohen Bäume zu lauschen, ohne sich einzugestehen, dass man ein Gefangener des Urwalds war - oder auch den letzten Zweifel daran aufzugeben, dass uns die Wildnis mit einem Bissen vertilgen konnte, ohne die geringste Spur von unserer Existenz zu hinterlassen, wenn ihr danach war.
Trotz ihrer Logik war Brianna alles andere als immun gegenüber dem Flüstern des Waldes - schließlich hatte sie ein kleines, schutzloses Kind in ihrer Obhut. Sie half nicht mit, das Lager für die Nacht vorzubereiten, sondern blieb stattdessen dicht bei Jemmy sitzen und lud ihr Gewehr.
Jamie warf einen raschen Blick auf Brianna und verkündete, dass er mit ihr die erste Wache übernehmen würde; Josiah und ich die nächste, Peter und Kezzie die letzte Wache der Nacht. Bis jetzt hatten wir keine Wachen gehabt, doch es gab keine Einwände gegen diesen Vorschlag.
Ein langer Tag im Sattel ist eines der besten Schlafmittel, und als ich mich jetzt neben Jamie ausstreckte, empfand ich jene grenzenlose Dankbarkeit dafür, mich in der Horizontalen zu befinden, die selbst das härteste Bett erträglich macht. Jamies Hand ruhte sanft auf meinem Kopf; ich drehte mich, küsste seine Handfläche und fühlte mich sicher und geschützt.
Peter und die Beardsleyzwillinge schliefen innerhalb von Sekunden ein; ich konnte sie auf der anderen Seite des Feuers schnarchen hören. Eingelullt durch die leise Unterhaltung zwischen Jamie und Brianna, die ich mit halbem Ohr mitbekam, war ich selbst schon fast eingeschlafen, als mir bewusst wurde, dass sich der Tenor ihres Gespräches verändert hatte.
»Machst du dir Sorgen um deinen Mann, a nighean? «, fragte er leise.
Sie lachte leise und unglücklich auf.
»Sorgen mache ich mir schon, seit sie ihn gehängt haben«, sagte sie. »Jetzt habe ich Angst.«
Jamie gab einen leisen Kehllaut von sich, der wohl tröstend gemeint war.
»Er ist heute Nacht nicht in größerer Gefahr als gestern Nacht, Liebes - oder in irgendeiner anderen Nacht seit seinem Aufbruch.«
»Das stimmt«, sagte sie trocken. »Aber nur, weil ich letzte Woche noch nichts von Geisterbären und schwarzen Mördern wusste, heißt das ja nicht, dass keine unterwegs waren.«
»Genau das meine ich«, erwiderte er. »Deine Angst macht ihn auch nicht sicherer, oder?«
»Nein. Und du meinst, deshalb höre ich auf, mir Sorgen zu machen?«
Seine Erwiderung war ein leises, reuiges Glucksen.
»Das meine ich nicht, nein.«
Es folgte ein kurzes Schweigen, bevor Brianna weiter sprach.
»Ich muss nur - ständig nachdenken. Was werde ich tun, wenn etwas geschieht - wenn er... nicht zurückkommt? Tagsüber werde ich ja damit fertig, aber nachts muss ich einfach daran denken...«
»Och, nun«, sagte er leise. Ich sah, wie er den Kopf zu den Sternen hob, die über uns am Himmel flammten. »Wie viele Nächte haben zwanzig Jahre, a nighean? Wie viele Stunden? Denn so lange habe ich mich gefragt, ob meine Frau noch lebte und wie es ihr ging. Sie und mein Kind.«
Seine Hand fuhr sacht über meinen Kopf und streichelte mir das Haar. Brianna erwiderte nichts, sondern gab nur einen leisen, unartikulierten Kehllaut
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