Das Flammende Kreuz
Berufung zum Schamanen nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Besitz einer faszinierenden Persönlichkeit, spiritueller Kräfte oder eines Talentes zum Predigen war.
Als ich jetzt beobachtete, wie die Gesichter der Menschen, die sich im Haus von Peter Bewlies Schwiegervater drängten, langsam glasig wurden, begriff ich, dass Jackson Jolly letzteres Talent völlig fehlte, wie es auch immer um seinen persönlichen Charme oder seine Verbindungen zur Geisterwelt bestellt sein mochte.
Mir war aufgefallen, dass die Gesichter einiger Gemeindemitglieder einen gewissen Ausdruck der Resignation annahmen, als der Schamane seinen Platz vor dem Kaminfeuer einnahm. Er war in eine rote Flanelldecke gehüllt, die einem Schultertuch ähnelte, und trug eine geschnitzte Maske, die ein Vogelgesicht darstellte. Als er mit lauter, monotoner Stimme zu sprechen begann, verlagerte die Frau neben mir das Gewicht schwerfällig von einem Bein auf das andere und seufzte.
Das Seufzen war ansteckend, aber es war nicht so schlimm wie das Gähnen. Innerhalb von Minuten stand die Hälfte der Leute in meiner Nähe mit klaffenden Mündern da, und ihre Augen tränten wie die Springbrunnen. Mir selbst schmerzten die Kinnmuskeln vom Zusammenpressen, und ich sah, dass Jamie die Augen zukniff wie eine Eule.
Jolly war zweifellos ein aufrichtiger Schamane, doch er schien auch ein
langweiliger zu sein. Der Einzige, den seine Bittrufe zu fesseln schienen, war Jemmy, der mit ehrfurchtsvoll aufgerissenem Mund in Briannas Armen hing.
Der Gesang für die Bärenjagd war ziemlich monoton und bestand aus endlosen Wiederholungen von »He! Hayuya’haniwa, hayuya’haniwa, hayuya’haniwa...« Dann folgten leichte Variationen des Themas, wobei jeder Vers mit einem herzhaften - und arg verblüffenden - »Yoho!«, endete, als seien wir alle im Begriff, mit’ner Buddel voll Rum Kurs auf des Toten Manns Kiste zu nehmen.
Allerdings legte die Gemeinde im Verlauf dieses Liedes ein wenig mehr Begeisterung an den Tag, und mir dämmerte schließlich, dass das Problem wahrscheinlich gar nicht bei dem Schamanen lag. Der Geisterbär plagte das Dorf schon seit Monaten; sie mussten diese Zeremonie bereits mehrfach erfolglos durchexerziert haben. Nein, es lag nicht daran, dass Jackson Jolly ein schlechter Prediger war; es war nur so, dass seiner Gemeinde der Glaube fehlte.
Nach dem Ende des Liedes stampfte Jolly heftig auf den Boden der Feuerstelle, um seine Worte zu unterstreichen, dann zog er einen Salbeizweig aus seinem Beutel, stieß ihn in die Flammen und begann, durch den Raum zu marschieren, wobei er den Rauch mit den Händen über der Gemeinde verteilte. Die Menge teilte sich zuvorkommend, als er vor Jamie aufmarschierte und ihn und die Beardsley-Zwillinge mehrmals singend umkreiste und mit duftenden Rauchschwaden parfümierte.
Jemmy fand das ausgesprochen komisch. Seiner Mutter, die neben mir stand und vor unterdrücktem Gekicher bebte, ging es nicht anders. Jamie stand aufrecht da und machte ein extrem würdevolles Gesicht, während Jolly - der ziemlich klein war - wie eine Kröte um ihn herumhüpfte und seine Rockschöße anhob, um ihm den Rücken einzuräuchern. Ich wagte es nicht, Brianna ins Auge zu sehen.
Als diese Phase der Zeremonie abgeschlossen war, bezog Jolly erneut am Feuer Position und begann zu singen. Die Frau neben mir schloss die Augen und verzog sacht das Gesicht.
Mir schmerzte allmählich der Rücken. Endlich beendete der Schamane sein Tun mit einem Ausruf. Dann trat er zurück, zog die Maske ab, wischte sich den Schweiß rechtschaffener Arbeit von der Stirn und machte ein zufriedenes Gesicht. Danach trat der Dorfobere vor, um eine Rede zu halten, und es kam Bewegung in die Menge.
Ich reckte mich so unauffällig wie möglich und fragte mich, was es wohl zum Abendessen geben würde. Davon abgelenkt, bemerkte ich zunächst nicht, dass die Unruhe spürbarer wurde. Schließlich richtete sich die Frau neben mir abrupt auf und sagte laut etwas im Kommandoton. Sie legte den Kopf schief und lauschte.
Der Dorfobere verstummte abrupt, und ringsum begannen die Leute, nach oben zu blicken. Körper erstarrten und Augen weiteten sich. Ich hörte
es auch, und meine Arme überzogen sich plötzlich mit Gänsehaut. Die Luft war von Flügelrauschen erfüllt.
»Was in aller Welt ist das?«, flüsterte Brianna mir zu, die Augen wie alle anderen nach oben gerichtet. »Die Niederfahrt des Heiligen Geistes?«
Ich hatte keine Ahnung, doch es wurde immer lauter-viel
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