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Das fliegende Klassenzimmer.

Das fliegende Klassenzimmer.

Titel: Das fliegende Klassenzimmer. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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solch einer Tollkühnheit fähig sein werde.
    Nur Sebastian widersprach. »Dieser Sprung hat doch nicht das Mindeste mit Kühnheit zu tun«, sagte er abweisend. »Uli war, als er von der Leiter sprang, nicht mutiger als vorher. Ihn trieb die Verzweiflung herunter.«
    »Aber der Mut der Verzweiflung«, rief ein Sekundaner. »Das ist ein Unterschied. Es gibt sehr viele Feiglinge, die nicht im Traum daran dächten, von Leitern zu springen. Und wenn sie noch so verzweifelt wären.«
    Sebastian nickte wohlwollend. »Das stimmt schon«, meinte er.
    »Aber der Unterschied zwischen ihnen und Uli liegt nicht auf dem Gebiete der Tapferkeit.«
    »Sondern?«
    »Der Unterschied ist der, dass sich Uli mehr schämen kann als sie. Uli ist nämlich ein völlig einfacher, naiver Junge. Sein Mangel an Mut störte ihn selber am allermeisten!« Sebastian überlegte eine Weile. Dann fuhr er fort: »Eigentlich geht euch das, was ich jetzt sagen will, gar nichts an. Aber, habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, ob ich Mut habe? Ist euch schon einmal aufgefallen, dass ich ängstlich bin? Nichts ist euch aufgefallen! Ich will euch deshalb vertraulich mitteilen, dass ich sogar außerordentlich ängstlich bin. Ich bin aber ein gescheiter Mensch und lass es mir nicht anmerken. Mich stört mein Mangel an Mut nicht besonders. Ich schäme mich nicht darüber. Und das kommt wieder daher, dass ich gescheit bin.
    Ich weiß, dass jeder Mensch Fehler und Schwächen hat. Es kommt nur darauf an, diese Fehler nicht sichtbar werden zu lassen.«
    Natürlich verstanden nicht alle, was er sagte. Besonders die Jüngeren kapierten es nicht.
    »Mir ist es lieber, wenn man sich noch schämen kann«, meinte der Sekundaner.
    »Mir auch«, antwortete Sebastian leise. Er war heute merkwürdig gesprächig. Wahrscheinlich war Ulis Unfall daran schuld. Sonst sagte er immer nur spöttische und befremdende Dinge. Er hatte keinen Freund. Und sie hatten stets gedacht, er brauche keinen. Aber jetzt spürten sie, dass er doch unter seiner Einsamkeit litt. Er war bestimmt kein sehr glücklicher Mensch. »Im Übrigen«, sagte er plötzlich kalt, »im Übrigen soll sich keiner unterstehen, meinen Mangel an Mut komisch zu finden. Ich müsste ihm sonst, lediglich zur Aufrechterhaltung meines Ansehens, eine runterhauen. Soviel Courage hab ich nämlich noch.« So war er nun! Eben noch hatten sie beinahe Mitleid mit ihm gehabt. Und schon sprang er ihnen wieder mit der Rückseite ins Gesicht.
    »Ruhe!«, rief der Stubenälteste. Er hatte ein bisschen geschlafen und war gerade aufgewacht.
    Und Sebastian schrieb fünfzigmal den Satz vom Unfug auf.
    Etwas später ging er in Johnnys Arbeitszimmer. »Wer spielt denn nun morgen Abend Ulis Rolle?«, fragte er.
    Johnny fiel aus allen Wolken. Er hatte überhaupt noch nicht daran gedacht, dass die Aufführung des »Fliegenden Klassenzimmers« durch Ulis Unfall in Frage gestellt war.
    »Die Rolle ist ja nicht sehr groß«, meinte Sebastian. »Wir müssen nur wen finden, der sie bis morgen Mittag lernt. Und dieser Bedauernswerte muss ferner fähig sein, wie ein kleines blondes Mädel auszusehen.«
    Schließlich verfielen sie auf den Quartaner Stöcker. Bevor sie ihn fragten, ob er einspringen wolle, gingen sie ins Wohnzimmer Nummer 9, um die Sache mit Martin zu besprechen.
    Das Wohnzimmer Nummer 9 glich einem Trauerhaus. Matthias war beim Justus gewesen und hatte gefragt, ob er während der Weihnachtsferien in der Schule bleiben dürfe. Denn sonst sei ja Uli ganz allein. Aber der Justus hatte geantwortet, das erlaube er auf keinen Fall. Matthias solle nur brav zu seinen Eltern fahren, die sich doch so auf sein Kommen freuten.
    Außerdem bleibe ja Johnny in der Schule. Und Ulis Eltern hätten vorhin am Telefon gesagt, dass sie am Heiligen Abend für ein paar Tage nach Kirchberg kämen. Nun starrte Matthias also vor sich hin und war wütend, dass er zu Weihnachten nach Hause fahren sollte!
    Und ein paar Pulte weiter saß Martin und war tieftraurig, dass er zu Weihnachten in der Schule bleiben musste. Er sagte sich zwar seit einer Stunde ununterbrochen, dass Uli und Johnny ja auch dableiben würden. Aber das war eben doch etwas ganz anderes. Denn was sollte Johnny schon bei der Schwester seines Kapitäns? Da war es keine besondere Kunst, hier zu bleiben, wenn man einen Vater hatte, der ein schlechter Mensch und überdies in Amerika war. Und Uli, der wurde ja von seinen Eltern in der Schule besucht. Das war doch wenigstens etwas. Und außerdem:

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