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Das fliegende Klassenzimmer.

Das fliegende Klassenzimmer.

Titel: Das fliegende Klassenzimmer. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Wenn man ein Bein gebrochen hatte, konnte man selbstverständlich nicht verreisen.
    >Aber ich<, dachte Martin, >ich bin doch gesund! Ich habe kein Bein gebrochen und kann trotzdem nicht fort. Ich habe meine Eltern sehr lieb, und sie lieben mich, und trotzdem dürfen wir am Heiligen Abend nicht zusammen sein. Und warum eigentlich nicht? Wegen des Geldes. Und warum haben wir keins? Ist mein Vater weniger tüchtig als andere Männer?
    Nein. Bin ich weniger fleißig als andere Jungen? Nein. Sind wir schlechte Menschen? Nein. Woran liegt es dann? Es liegt an der Ungerechtigkeit, unter der so viele leiden. Es gibt zwar nette Leute, die das ändern wollen. Aber der Heilige Abend ist schon übermorgen. Bis dahin wird es ihnen nicht gelingen.< Martin überlegte sogar, ob er zu Fuß nach Hause laufen sollte.
    Drei Tage würde das dauern. Mitten im Winter. Am zweiten Feiertag könnte er frühestens dort sein. Ob die fünf Mark zum Essen und Übernachten reichten? Und nach den Ferien musste er doch wieder in die Schule zurück! Und dann würden die Eltern wieder kein Fahrgeld für ihn haben!
    Es ging nicht. Wie er’s auch drehte und wendete: Er musste diesmal hier bleiben…
    Als Johnny und Sebastian ins Zimmer kamen und ihn fragten, ob er den Quartaner Stöcker für einen geeigneten Uli-Ersatz halte, hörte er überhaupt nicht zu. Johnny packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn aus den trüben Gedanken heraus.
    Sebastian wiederholte die Frage.
    Martin sagte gleichgültig: »Sicher.« Weiter nichts.
    Die zwei musterten ihn erstaunt. »Was hast du denn?«, fragte Sebastian. »Ist es wegen Ulis Unfall? Da musst du dir nicht den Kopf zerbrechen. Es konnte viel, viel schlimmer kommen.«
    »Sicher«, sagte Martin.
    Johnny beugte sich herab und flüsterte: »Du, fehlt dir was? Bist du krank? Oder ist es was anderes?«
    »Sicher«, entgegnete Martin. Es gab anscheinend kein anderes Wort weiter. Er klappte den Pultdeckel hoch und nahm Briefpapier heraus.
    Da gingen sie wieder. »Was soll das denn heißen?«, fragte Johnny Trotz besorgt auf dem Korridor.
    »Keine Ahnung«, sagte Sebastian. »Vielleicht Kopfschmerzen.«
    Dann sprachen sie mit dem Quartaner Stöcker. Der Junge war Feuer und Flamme. Als er freilich hörte, dass er Mädchenkleider anziehen und eine Gretchenperücke aufsetzen sollte, sank seine Begeisterung beträchtlich. Aber sie sagten, er dürfe die Tertianer nicht im Stich lassen. Johnny drückte ihm das Manuskript des »Fliegenden Klassenzimmers« in die Hand. Und Sebastian befahl: »Morgen Mittag kannst du die Rolle!«
    Da setzte sich der Kleine hurtig auf die Hosen.
    Matthias hatte es nicht länger ausgehalten und war unter einem Vorwand ausgerückt. Der schöne Theodor, der Stubenälteste, stand noch immer unter dem Eindruck, den die gestrige Erzählung Doktor Bökhs auf ihn gemacht hatte, und war die Nachsicht selber. Nun verbarg sich Matthias in der Nähe der Krankenstube hinter einer Säule im Gang und lauerte.
    Er hatte Glück. Schon nach wenigen Minuten kam die Krankenschwester aus dem Zimmer und stieg die Treppe hinunter, um einiges in der Küche zu besorgen. Matthias sah sich vorsichtig um.
    Einen Augenblick später stand er neben Ulis Bett. Der Junge schlief. Es roch nach Arznei. Matthias schlug das Herz bis zum Hals. Voller Rührung betrachtete er das blasse Gesicht des kleinen Freundes.
    Da schlug Uli die Augen auf. Und ein müdes, winziges Lächeln tauchte in seinem Blick auf.
    Matthias nickte. Es würgte in seiner Kehle.
    »Es hat nicht besonders wehgetan«, sagte Uli. »Wirklich nicht. Und meine Eltern kommen übermorgen.«
    Matthias nickte wieder. Dann sagte er: »Ich wollte in den Ferien hier bleiben. Aber der Justus hat’s verboten.«
    »Ich danke dir schön«, flüsterte Uli. »Aber fahr du nur nach Hause. Und wenn du wiederkommst, bin ich schon fast gesund.«
    »Natürlich«, meinte Matthias. »Und es tut bestimmt nicht mehr weh?«
    »Eisern!«, flüsterte Uli. »Was sagen denn die andern?«
    »Die sind einfach platt«, berichtete Matthias. »Und sie haben einen unheimlichen Respekt vor dir gekriegt.«
    »Siehst du«, flüsterte Uli. »Du hattest schon ganz Recht. Angst lässt sich kurieren.«
    »Aber Kleiner. So hab ich das doch gestern nicht gemeint«, sagte Matz. »Das konnte nämlich noch viel schlimmer ablaufen. Ich bin doch wirklich kein Angsthase. Aber du könntest mir eine Million versprechen - ich spränge nicht von der Leiter herunter.«
    Ulis Gesicht glänzte vor Freude und Stolz.

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