Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das fliegende Klassenzimmer.

Das fliegende Klassenzimmer.

Titel: Das fliegende Klassenzimmer. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
geraten, er müsse eben mal was zeigen, was den anderen imponiere.«
    »Na, das ist ihm ja nun gelungen«, sagte der Justus. »Und nehmt euch ein bisschen zusammen! Vergesst nicht, dass so ein Beinbruch weniger schlimm ist, als wenn der Kleine sein Leben lang Angst davor gehabt hätte, die anderen würden ihn nicht für voll nehmen. Ich glaube wirklich, dieser Fallschirmabsprung war gar nicht so blödsinnig, wie ich zunächst dachte.«
    Dann lief er eilig ins Treppenhaus, um Ulis Eltern telefonisch zu benachrichtigen.
    Die vier Jungen gingen erst fort, als der Nichtraucher herauskam und ihnen ehrenwörtlich versicherte, dass Uli in einem Monat wieder kreuzfidel sein werde. Matthias wich als Letzter von der Stelle. Er fragte noch, ob er zu Uli hineindürfe.
    Aber der Nichtraucher sagte, das sei streng verboten. Vor morgen sei an so etwas gar nicht zu denken. Dann ging auch Matthias in sein Wohnzimmer hinüber.
    Martin spürte, als er die Treppe hinunterstieg, den Brief seiner Mutter in der Tasche knistern.
    Er trat ins Klavierzimmer III. Dort setzte er sich aufs Fensterbrett und riss den Umschlag auf. Das Erste, was er sah, war eine Reihe von Briefmarken. Er nahm sie heraus und zählte hastig. Es waren zwanzig Fünfundzwanzigpfennigmarken. Es waren also nur fünf Mark!
    Dem Jungen stand beinahe das Herz still. Dann nahm er den Briefbogen in die Hand. Er drehte ihn um. Er griff ins Kuvert. Er blickte suchend auf den Fußboden. Aber es wurden nicht mehr. Es blieben Briefmarken im Werte von fünf Mark.
    Martins Knie wurden schwach. Sie zitterten. Er blickte auf den Briefbogen und las:

    »Mein lieber, guter Junge!
    Das wird wahrhaftig ein trauriger Brief. Und ich weiß nicht, wie ich ihn anfangen soll! Denn denke dir, mein gutes Kind, ich kann dir diesmal die acht Mark fürs Fahrgeld nicht schicken!
    Es reicht an keiner Ecke, und dass Vater nichts verdient, weißt du ja. Wenn ich dran denke, dass du zu Weihnachten in der Schule bleiben musst, wird mir ganz elend zumute. Ich habe mir den Kopf zerbrochen. Bei Tante Emma war ich auch. Aber vergeblich. Vater ist zu einem früheren Kollegen gelaufen.
    Doch der hatte auch nichts übrig. Keinen Pfennig.
    Es gibt keinen Ausweg, mein Kleiner. Du musst diesmal im Internat bleiben. Und wir werden uns vor Ostern nicht wieder sehen. Wenn ich daran denke - aber man darf es nicht, weil es keinen Zweck hat.
    Im Gegenteil. Wir wollen kolossal tapfer sein und die Zähnchen zusammenbeißen, gelt? Das Einzige, was ich auftreiben konnte, waren fünf Mark. Von Schneidermeister Rockstroh. Bis Silvester. Dann will er’s wiederhaben.
    Martin, kaufe dir in einem Cafe ein Kännchen Schokolade und ein paar Stück Kuchen dafür. Und sitze ja nicht immer in der Schule und im Zimmer. Hörst du? Vielleicht ist irgendwo eine Rodelbahn. Da musst du bestimmt hinaus. Das versprichst du mir doch?
    Und morgen bekommst du mit der Post ein Paket, wo nun die Geschenke drin sind, die du zu Hause unterm Christbaum beschert kriegen solltest. Vielleicht werden wir gar keinen haben. Wenn du nicht da bist, hat es ja keinen Sinn.
    Viel ist es nicht, was wir dir schicken. Aber du weißt ja, dass ich nicht mehr Geld habe. Es ist recht traurig, aber nicht zu ändern. Mein lieber, guter Junge, wir werden alle miteinander zu Weihnachten recht tapfer sein und kein bisschen weinen.
    Ich versprech dir’s. Und du mir auch? Und nun viele herzliche Grüße und Küsse
    von deiner dich liebenden Mutter.
    Der Vater lässt grüßen. Du sollst, sagt er, ja recht brav sein.
    Aber das bist du ja sowieso, nicht wahr? Ich schicke das Geld in Briefmarken. Du tauschst sie dir um.«

    Martin Thaler starrte auf den Briefbogen. Die Schrift verschwamm vor seinen Augen. Die Mutter hatte geweint. Man sah es. Die Tinte war ein paarmal verwischt.
    Der Junge umklammerte den Fensterriegel, blickte zu dem müden, grauen Dezemberhimmel empor und flüsterte:
    »Muttchen! Gutes, gutes Muttchen!«
    Und dann musste er weinen, obwohl er es ja eigentlich nicht durfte.

Das neunte Kapitel 
...enthält grundsätzliche Erklärungen  Sebastians über die Angst; die Umbesetzung einer Rolle; einen heimlichen Besuch im Krankenzimmer; das Restaurant »Zum letzten Knochen« nebst warmem Abendbrot; die Begegnung mit einem Postboten und Martins Brief nach Hause.
    Ulis Fallschirmabsprung war das Tagesgespräch in sämtlichen Arbeitszimmern. Und es herrschte eine einzige Meinung: Der kleine Simmern sei ein Mordskerl, und niemand habe geahnt, dass er eines Tages

Weitere Kostenlose Bücher