Das Flüstern der Albträume
zu verbessern und die Zulassung zum Aufbaustudium zu bekommen. Vielleicht hat sie mich benutzt, um Josiah loszuwerden.«
»Dafür gibt es keine Beweise.«
»Ich weiß. Aber sie war auch bestimmt vorsichtig.«
»Der Sache sollten wir nachgehen.«
Eva sah Garrison forschend an. »Sie glauben mir?«
»Ja.«
Er hatte ohne Zögern geantwortet. Dass er ihr glaubte, bedeutete ihr mehr, als ihr bewusst war. Nervös und unruhig nahm sie ihren Teller vom Tisch.
»Ich spüle das ab.«
Er streckte den Arm aus und nahm ihr den Teller aus der Hand. Seine Finger streiften ihre, und die Berührung sandte einen Stromstoß durch seinen ganzen Körper. Er sah sie an, und unvermittelt überkam ihn der heftige Drang, sie zu berühren.
Eva ließ den Teller los, machte aber keine Anstalten, sich von ihm wegzubewegen oder den Blick abzuwenden. Er war so nah bei ihr, dass er die Wärme ihres Körpers spürte. Herrgott, er musste sich unter Kontrolle bekommen. So sehr er sie auch berühren wollte, er würde es nicht tun. Er durfte es nicht. Zu viele Menschen hatten sie ausgenutzt, und er wollte verflucht sein, wenn er auch auf dieser Liste landete.
»Ich bin nicht aus Porzellan«, sagte Eva. »Ich bin ziemlich zäh.«
»Daran zweifle ich nicht.«
»Du willst mich küssen.«
»Ja.«
Und sie wollte ihn küssen. Er glaubte ihr. Sie nahm ihm den Teller ab und stellte ihn auf die Arbeitsplatte. »Dann küss mich.«
»Keine gute Idee.«
Ungerührt stellte sie sich auf die Zehenspitzen und umfasste seinen Hinterkopf. »Falls du keine Trittleiter hast, wirst du mir auf halbem Weg entgegenkommen müssen.«
Garrison beugte sich nicht hinunter, aber er wich auch nicht zurück. Das bisher nur leise Begehren in ihm verstärkte sich zu einem unbändigen Verlangen. »Eva. Das ist jetzt nicht der richtige Ort und Zeitpunkt.«
»Es ist ein guter Zeitpunkt.«
»Du weißt, dass das nicht stimmt.«
»Du willst mich nicht?«
Er legte ihr die Hände auf die Schultern. »Doch. Aber nicht jetzt. Nicht bei alldem, was wir gerade zu tun haben.«
Sie sah ihn eine ganze Weile an und legte dann die Hände um seinen Nacken. »Wenn ich etwas gelernt habe, Deacon, dann, dass man nicht auf die Zukunft zählen kann.«
Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn auf die Lippen und genoss den salzigen Geschmack. Er schlang die Arme um sie und zog sie dicht an sich. Seine Erektion stieß gegen ihren Bauch und brachte jeden Nerv in ihr zum Vibrieren. Sie wollte das hier. Sie wollte ihn.
Kristen lag auf dem Rücken, Hände und Füße an den kalten Steinboden gekettet. Der beißende Geruch nach Rauch, Urin und Blut reizte ihre Nase, während sie mit verschwommenem Blick zu den rohen Holzbalken an der Decke starrte. In der Haut um ihren Nabel brannten vier Sterne, und schon beim leisesten Luftzug zuckte sie vor Schmerz zusammen.
Sie schloss die Augen und ließ ihren Geist für einen Augenblick zu dem ersten und einzigen Mal zurückgleiten, als sie ihren Sohn in den Armen gehalten hatte. Sein kleiner Körper hatte sich fest in ihre Armbeuge geschmiegt. Sein überraschend kräftiger Mund hatte an ihrer Brust gesaugt. Sie hatte das weiche, flaumige Haar auf seinem Kopf gestreichelt. Es war die reine Glückseligkeit gewesen.
In den letzten zehn Jahren hatte sie diesen Moment immer wieder von Neuem durchlebt. Sie hatte für diesen Moment so viel geopfert, und inzwischen wusste sie, dass das, was sie vor Jahren für ihren Sohn getan hatte, sie hierher geführt hatte.
»Du musst etwas für mich tun, Kristen.« Die Stimme holte ihren Geist abrupt zurück in die Gegenwart, wie eine Schnur, die einen Drachen aus der Luft reißt.
Ihre Augen blieben geschlossen, ein letzter Akt des Widerstands.
»Du tust mir doch einen Gefallen, ja? Nur noch ein Anruf.« Und als sie sich nicht regte: »Ich weiß, wo dein Sohn wohnt.«
Ihre Augen öffneten sich. »Wo?«
»Ah, so ist es recht.«
»Wo ist er?« Sie bettelte nicht, freigelassen zu werden.
»Ich sage es dir, sobald du anrufst.«
»Schwören Sie es?«
»Ja.«
Donovan kam bei der Adresse an, die Eva ihm genannt hatte. Das Backsteinhaus sah aus, als wäre es in den 1920er Jahren erbaut worden. Verwilderte Sträucher verdeckten den größten Teil der Erdgeschossfenster. Der Gehweg vor dem Haus war an mehreren Stellen aufgeplatzt und rissig, und das Geländer der Verandatreppe war umgestürzt.
»Du hast wirklich ein Händchen für Treffpunkte, Eva.«
Das Telefon in seiner Tasche summte; er holte es hervor und
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