Das Flüstern der Nacht
herunter und lass uns dem ein Ende bereiten.«
Der Andrah machte keine Anstalten sich zu erheben, sondern schien in dem prunkvollen Sessel nur noch tiefer in sich zusammenzusinken. Jardir verzog angewidert das Gesicht, nahm den Speer des Kaji und stieg die sieben Stufen zu dem Schädelthron hinauf.
»Nein!«, kreischte der Andrah , krümmte sich und verbarg sein Gesicht, als Jardir den Speer hob.
Mehr als ein Dutzend Jahre lang, seit er den Dickwanst mit Inevera in ihrem Ehebett gesehen hatte, stellte sich Jardir tagtäglich in Gedanken vor, wie er den Andrah tötete. Ineveras Würfel hatten geweissagt, er würde eines Tages Rache nehmen können, und an diese Prophezeiung hatte er sich verzweifelt geklammert. Einzig und allein der alagai’sharak bot ihm Ablenkung, und jeden neuen Sonnenaufgang, an dem der Andrah noch lebte, empfand er wie einen Schlag gegen seine Ehre. Wie viele Male hatte er die Worte geübt, die er in diesem Moment dem Mann entgegenschleudern wollte?
Doch nun stieg Ekel in Jardirs Kehle hoch wie bittere Galle. Der jämmerliche Fleischberg vor ihm hatte schon über ganz Krasia geherrscht, als Jardir noch nicht einmal geboren war, und dennoch brachte er nicht einmal den Mut auf, dem Tod ins Gesicht zu sehen. Er war gewöhnlicher als ein khaffit. Er stand sogar noch unter den schmutzigen Schweinen, die die khaffit aßen. Er war es nicht wert, dass man seinen Atem an ihn verschwendete.
Als Jardir ihn tötete, merkte er nichts von der großen Genugtuung, die er in seinen Fantasien immer empfunden hatte. Er hatte eher das Gefühl, er würde der Welt eine Gnade erweisen, wenn er sie von einem solchen Mann befreite.
Das weiße Obergewand des Andrah war voller Blutflecken, als Jardir es über seine schwarze Sharum-Tracht zog. Er spürte, wie die Blicke aller Anwesenden im Thronsaal schwer auf ihm lasteten, doch er straffte die Schultern unter der Bürde und sah gelassen aber aufmerksam in die Runde.
Aleverak lag nun am Boden, und dama Shevali presste die Hände auf die verletzte Schulter, um die Blutung zu stillen. Auf halber Höhe der Treppe lag der tote Amadeveram. Jardir beugte sich über den Damaji und zog ihm den schwarzen Turban vom Kopf.
» Dama Ashan von den Kaji, tritt vor«, befahl er. Ashan ging zum Fuß der Treppe, kniete nieder und presste beide Hände sowie die Stirn gegen den Boden. Jardir nahm seinem Freund den weißen Turban ab und ersetzte ihn durch den schwarzen des Damaji .
» Damaji Ashan soll den Stamm der Kaji anführen«, verkündete Jardir, »und darf den schwarzen Turban an seine Söhne weitergeben, die er mit meiner Schwester Imisandre gezeugt hat.« Er umarmte Ashan wie einen Bruder.
»Der Krieg unter dem Antlitz der Sonne ist vorbei«, erklärte Ashan.
Jardir schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund. Er hat noch gar nicht begonnen. Wir werden unsere Streitkräfte aufstocken, unsere Weiber schwängern und uns auf den Sharak Sun vorbereiten.«
»Du meinst …?«, begann Ashan
»Wir ziehen gen Norden«, bestätigte Jardir, »um die Grünen Länder zu erobern und deren Männer für den Sharak Ka auszuheben.« Die verbliebenen Damaji waren erstaunt, aber keiner wagte es, ihm zu widersprechen.
Kurz darauf schnappten die Sharum , die die Eingangstür bewachten, hörbar nach Luft und stoben hastig auseinander. Durch die entstandene Gasse glitten die Damaji’ting und Jardirs Gemahlinnen. Das Evejanische Gesetz verbot es jedem Mann, einer dama’ting etwas Böses anzutun, deshalb war seine Macht über
diese Frauen beschränkt; doch im dama’ting -Pavillon wurden eigene Ränke geschmiedet, und dort erwies sich Inevera als ebenso geschickte Intrigantin wie wenn sie die Politik der Männer manipulierte. Jede seiner Frauen trug eine schwarze Kopfbedeckung mit einem weißen Schleier über ihrer weißen dama’ting -Robe, um zu zeigen, dass sie die Nachfolgerin der Damaji’ting ihres jeweiligen Stammes war. Jardir hatte keine Ahnung, wie Inevera das bewerkstelligt hatte.
Belina, seine Gemahlin vom Stamm der Majah, trennte sich von den anderen und eilte zu Aleverak. Jardir erkannte jede seiner Frauen auf den ersten Blick, selbst wenn sie in ihren alles verhüllenden Gewändern steckten. Qasha konnte ihre üppigen Rundungen nicht verbergen, und Umshala nicht ihre Körpergröße. Belinas Gang war genauso unverwechselbar wie ihr Gesicht. Die Damaji’ting der Majah folgte ihr, wobei sie eher die Schülerin zu sein schien als die Meisterin.
Zuerst war keine Spur von Inevera zu
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