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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Raum bemerkte Jardir das schwache Glühen von alagai hora , das durch die lebendige Mauer pulsierte und begleitet wurde von Ineveras Gebeten, die sie mit singender Stimme sprach. Mehrere Minuten lang waberte der Schein in einem bestimmten Rhythmus, während die Männer in ehrfürchtigem Staunen zusahen.

    Dann sprach Inevera einen Befehl, und der Kreis aus dal’Sharum löste sich auf. Krieger beeilten sich, Vorhänge zu öffnen und wieder Licht in den Raum hineinzulassen. Und dann sah man Damaji Aleverak, der ruhig vor Inevera lag. Sein Oberkörper war nackt, die Haut hatte ihre graue Färbung verloren, und er atmete wieder normal. Von seiner Verletzung war keine Spur mehr übrig geblieben, verschwunden waren die Knochensplitter, das Blut, nicht mal eine Narbe war da. Über die Schulter zog sich nur glattes Fleisch.
    Glattes Fleisch, wo ein Arm hätte sein sollen. Das Körperglied war nirgendwo zu sehen.
    »Everam hat Damaji Aleveraks Arm als Zeichen seiner Unterwerfung angenommen«, verkündete Inevera laut und deutlich. »Aleverak wird verziehen, dass er an dem Erlöser gezweifelt hat, und wenn er fortan auf Everams wahrem Pfad wandelt, wird er seinen verlorenen Arm im Himmel wiederbekommen.«
    Sie ging zu Jardir zurück und schlang ihren Körper abermals um ihn. »Nach einem solchen Sieg, wie der heutige Tag ihn beschert hat, muss mein Gemahl sein Blut abkühlen«, rief sie in den Raum hinein. »Verlasst uns jetzt, damit ich ihm die Erleichterung verschaffen kann, die nur eine Ehefrau spenden kann.«
    Daraufhin erhob sich schockiertes Gemurmel unter den Männern. Es war unerhört, dass eine Frau, selbst eine Damaji’ting , den Damaji derartige Befehle erteilte. Erwartungsvoll sahen sie zu Jardir, doch als er seine Frau nicht zurechtwies, blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich zu entfernen.

    »Hast du den Verstand verloren?«, kreischte Inevera, sobald sie allein waren. »Wie konntest du nur deine Herrschaft über die Majah - geschweige denn das Leben deines Sohnes - durch diese
idiotische Zusage aufs Spiel setzen? Was versprichst du dir überhaupt davon?«
    Jardir entging nicht, dass sie Maji erst an zweiter Stelle erwähnte. »Ich erwarte nicht von dir, dass du begreifst, warum ich so handeln musste.«
    »Oh?«, entgegnete sie in giftigem Ton. »Hältst du deine Jiwah Ka für so dumm? Warum, glaubst du, kann sie die Weisheit deines Entschlusses nicht verstehen?«
    »Weil es hier um eine Frage der Ehre geht«, schnauzte Jardir. »Und du hast bewiesen, dass du an derlei Nichtigkeiten keinen Gedanken verschwendest!«
    Eine Weile funkelte Inevera ihn empört an, dann wandte sie sich ab und nahm wieder den Ausdruck heiterer Gelassenheit einer dama’ting an. »Es ist ohnehin belanglos. Mit Aleveraks Erben werden wir uns zu gegebener Zeit beschäftigen.«
    »In diese Angelegenheit wirst du dich nicht einmischen!«, warnte Jardir. »Maji wird sich eben als der Stärkere erweisen müssen.«
    »Und wenn er unterliegt?«, fragte sie.
    »Dann entspricht es nicht Everams Willen, dass er die Majah anführt«, erwiderte Jardir.
    Inevera sah aus als wolle sie widersprechen, doch dann schüttelte sie nur den Kopf. »Etwas Gutes ist doch dabei herausgekommen. Dass du Aleverak zum Krüppel gemacht, ihm aber erlaubt hast, am Leben zu bleiben und dir zu dienen, wird den Legenden, die sich um dich ranken werden, neue Nahrung geben.«
    »Jetzt klingst du wie Abban«, murrte Jardir.
    »Was?«, fragte sie, obwohl er wusste, dass sie ihn sehr wohl verstanden hatte.
    »Das reicht«, bestimmte er. »Es ist geschehen und lässt sich nicht mehr ändern. Und nun leg ein ordentliches Gewand und einen Schleier an, bevor meine Männer auf unzüchtige Gedanken kommen.«

    »Dreist wie immer«, tadelte Inevera ihn, aber hinter ihrem durchsichtigen Schleier lächelte sie und schien eher belustigt als verärgert zu sein. »Der Evejah verlangt von den Frauen, sich zu verschleiern, damit kein Mann begehrt, was nicht sein Eigen ist, aber du bist der Erlöser. Wer würde es wagen, dein Weib zu begehren? Ich habe nichts zu befürchten, selbst wenn ich nackt durch die Straßen liefe.«
    »Zu befürchten vielleicht nicht, aber welchen Vorteil bringt es mit sich, wenn du vor allen Männern deine Scham entblößt wie eine Hure?«, wollte Jardir wissen.
    Ineveras Augenbrauen zogen sich unmutig zusammen, wenngleich ihre Miene freundlich blieb. »Ich zeige mein Gesicht, damit jeder mich erkennt. Ich zeige meinen Körper, um deine Macht zu steigern.

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