Das Flüstern der Nacht
Fleisch gruben. Er schüttelte den Kopf. »Wir haben ohnehin schon zu lange gezögert.«
Abban zuckte die Achseln. »Dann wirst du wohl mit den Kriegern aufbrechen müssen, die dir in einem Jahr zur Verfügung stehen. Nicht einmal sechstausend.«
»Aber ich brauche mehr«, beharrte Jardir.
Wieder hob und senkte Abban die Schultern. »Was soll ich machen? Schließlich gibt es keine verborgenen Lager voller dal’Sharum , wie es Speicher mit Getreide im Basar gibt, bei denen die Händler nur auf eine Preiserhöhung warten, ehe sie dann mit der Ware herausrücken.«
Jardir sah Abban so scharf an, dass der khaffit zusammenzuckte.
»Hab ich was Falsches gesagt?«, wollte er wissen.
»Der Basar«, erwiderte Jardir gedehnt. »Seit dem Tag, als Kaval und Qeran uns von zu Hause wegholten, war ich nicht mehr dort.« Er stand auf und streifte ein weißes Obergewand über die schwarze Sharum -Tracht, die er immer noch trug. »Zeige mir, wie es jetzt dort zugeht.«
»Ich?«, staunte Abban. »Du willst in Begleitung eines khaffit durch die Straßen gehen?«
»Gibt es jemanden, der für diese Aufgabe besser geeignet wäre?«, fragte Jardir zurück. Alle anderen im Raum starrten Jardir schockiert an.
»Erlöser«, protestierte Abban, »der Basar ist ein Ort für Frauen und khaffit …«
Aleverak nickte inbrünstig. »Dieser Boden ist es nicht wert, von den Füßen des Shar’Dama Ka berührt zu werden.«
»Darüber befinde ich«, gab Jardir knapp zurück. »Wer weiß, vielleicht entdecke ich dort doch etwas, das meiner Aufmerksamkeit würdig ist.«
Ashan runzelte die Stirn, aber er verbeugte sich. »Natürlich, Erlöser. Ich stelle dir einen Trupp Leibwachen zusammen. Einhundert loyale Sharum …«
»Ich brauche keinen einzigen Leibwächter«, schnitt Jardir ihm das Wort ab. »Gegen Frauen und khaffit kann ich mich selbst schützen.«
Inevera erhob sich und half Jardir, seine Gewänder zu richten. »Lass mich wenigstens zuerst die Würfel befragen«, flüsterte sie. »Du wirst Meuchelmörder anziehen wie ein Mistkarren die Fliegen.«
Jardir schüttelte den Kopf. »Dieses Mal nicht, Jiwah . Heute spüre ich Everams Hand auch ohne diese Unterstützung.«
Inevera wirkte keineswegs überzeugt, doch sie trat zur Seite.
Eine Last fiel von Jardir ab, als er den Palast verließ. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal bei Tageslicht aus diesen Mauern herausgeschritten war. Früher hatte er es genossen, die Gluthitze der Sonne zu spüren. Beim Gehen straffte er die Schultern, und etwas in Jardir … fing an zu singen. Er war durchdrungen von dem Gefühl, das Richtige zu tun, als ob Everam selbst jede seiner Handlungen lenkte.
Die Zeit schien stillzustehen, als Jardir und Abban durch den Großen Basar schlenderten. Händler und Kunden gleichermaßen erstarrten, während sie an ihnen vorbeigingen. Manche gafften voller Staunen den Erlöser an, andere glotzten in noch größerer Fassungslosigkeit auf den khaffit an seiner Seite. Hinter ihnen machte sich aufgeregtes Getuschel breit, und nicht wenige Leute drifteten hinter ihnen her.
Wenn man das große Stadttor passierte, erstreckte sich der Basar meilenweit an der Innenseite der Mauer entlang. Vermeintlich unzählige Zelte und Karren, grandiose Pavillons und winzige Verkaufsbuden bildeten ein unübersichtliches Durcheinander, ganz zu schweigen von den umherziehenden Essens- und Kinkerlitzchenverkäufern, den Trägern, die Einkäufe schleppten, und den Massen an Kunden, die lärmend um Preise feilschten.
»So groß hatte ich den Basar gar nicht in Erinnerung«, stellte Jardir überrascht fest. »Dieses Gewirr an Kreuzungen und Winkeln. Dagegen kommt mir das Labyrinth viel überschaubarer vor.«
»Es heißt, dass man an einem einzigen Tag unmöglich an jedem Händler vorbeikommen kann«, erwiderte Abban. »Und manch einem ist es schon passiert, dass er nicht mehr rechtzeitig herausfand, wenn die dama von den Minaretten des Sharik Hora die Sperrstunde ausriefen.«
»Hier wimmelt es ja von khaffit «, meinte Jardir verblüfft, als er über ein Meer aus glatt rasierten Gesichtern und braungelben Westen schaute. »Obwohl ich jeden Morgen höre, wie groß ihre
Zahl ist, kam mir ihre Stärke nie wirklich zu Bewusstsein. Zahlenmäßig stellt ihr die größte Bevölkerungsschicht in Krasia dar.«
»Es hat seine Vorteile, wenn einem der Zugang zum Labyrinth verwehrt wird«, entgegnete Abban. »Einer davon ist ein langes Leben.«
Jardir nickte. Das war noch etwas,
Weitere Kostenlose Bücher