Das Flüstern der Nacht
streckte den Speer des Kaji in die Höhe. »Ich bin der Shar’Dama Ka !« Die Leute stimmten ein lautes Gebrüll an und verblüfften Jardir mit ihrer Kraft und ihrem Schwung, Eigenschaften, die er ihnen im Traum nicht zugetraut hätte.
»Everam hat mir die Aufgabe übertragen, die alagai zu vernichten«, brüllte Jardir, »aber dazu brauche ich Sharum !« Mit einer allumfassenden Geste deutete er auf die Menge. »Unter euch sehe ich tatkräftige Männer, denen man als Kind verwehrt hat, den Umgang mit dem Speer zu erlernen. Man zwang euch, in Schande und Armut zu leben, während eure Brüder und Vettern in Everams Glanz wandelten. Und auch über eure Eltern und Kinder brachte man Schande.«
Die Männer, die Jardir aufgefordert hatte, ihm zu folgen, nickten bekräftigend, als sie diese Worte hörten. »Nun besitzen wir die Magie, um die alagai zu zerstören«, fuhr er fort. »Mit unseren Speeren schlachten wir sie zu Hunderten ab, aber wir verfügen über mehr Speere als Männer, die sie tragen. Und deshalb biete ich euch allen diese zweite Chance! Jeder waffentaugliche khaffit , der
am alagai’sharak teilnehmen möchte, darf sich morgen auf den Exerzierplätzen einfinden, wo jeder Stamm einen khaffit’sharaj einrichten wird, um euch zu lehren. Diejenigen von euch, die die Ausbildung beenden, heißen fortan kha’Sharum und erhalten mit Siegeln versehene Waffen, damit ihr euch und euren Familien doch noch den ruhmreichen Einzug in den Himmel verdienen könnt.«
Es herrschte betroffenes Schweigen, während seine Worte in die Gemüter der Menschen einsanken. Männer, die ihr Leben lang unter den Schikanen der Sharum gelitten hatten, nur mit eingezogenem Kopf einhergingen, niedergedrückt durch die Bürde ihrer verachteten Kaste, richteten sich langsam auf. Es schien, als könne Jardir ihre Gedanken lesen, als sie sich vorstellten, welche Ehre vielleicht auf sie wartete, welche Möglichkeiten für ein besseres Leben sich ihnen eröffneten.
»Der Sharak Ka ist nahe!«, schrie Jardir. »In dem Großen Krieg kann jeder Ruhm und Ehre erringen. Wer von euch wird den Schwur leisten, an meiner Seite zu kämpfen?«
Der erste Mann, dem Jardir angeboten hatte, ihm zu folgen, der im Labyrinth seinem ajin’pal weggelaufen war, drängte sich durch die Menge nach vorn und kniete nieder.
»Erlöser«, krächzte er, »seit ich im Labyrinth versagt habe, ist mein Herz schwer. Ich bitte dich um eine zweite Chance.« Jardir senkte den Speer des Kaji und berührte damit seine Schulter.
»Erhebe dich, kha’Sharum «, rief Jardir.
Der Mann kam dem Befehl nach, doch er stand noch nicht ganz, da traf ihn ein Speer in den Rücken. Jardir fing ihn auf, bevor er zu Boden stürzen konnte. Während der Mann keuchte und ein Schwall Blut aus seinem Mund strömte, sah Jardir ihm fest in die Augen.
»Du bist gerettet«, versprach er dem Sterbenden. »Die Pforten des Himmels stehen dir offen, mein Bruder.«
Der Mann lächelte, ehe das Licht in seinen Augen erlosch. Behutsam legte Jardir ihn auf die Seite und betrachtete den Speer, der
aus seinem Rücken ragte. Es handelte sich um eine kurze, für den Nahkampf geeignete Waffe, wie die Nanji-Aufpasser sie bevorzugten.
Jardir blickte hoch und sah drei Nanji, die sich ihm näherten; in einer Hand hielten sie kurze Speere, in der anderen mit Gewichten beschwerte Seile. Obwohl es heller Tag war, hatten sie ihre Nachtschleier hochgezogen und verhüllten ihre Gesichter.
»Du gehst zu weit, Sharum Ka , wenn du khaffit Speere anbietest!«, schrie einer der Krieger.
»Wir müssen dein Leben beenden!«, fiel ein anderer ein.
Sie rückten näher heran, doch ein paar khaffit lösten sich aus der Menge und stellten sich schützend vor Jardir.
Die Nanji lachten. »Es war leichtsinnig von dir, den Palast ohne deine Leibwachen zu verlassen«, höhnte einer. »Diese khaffit können dich nicht beschützen.«
Es war nicht verwunderlich, dass die Krieger die Frauen und khaffit nicht für eine Bedrohung hielten, doch Jardir, der noch vor wenigen Augenblicken die von der Masse ausgehende Macht gespürt hatte, war sich da nicht so sicher. Trotzdem würde er von niemandem fordern, sich sinnlos für ihn zu opfern.
Wenn du die Leute glauben machst, du seist unverwundbar, wird das womöglich selbst den furchtlosesten Meuchelmörder abschrecken, hatte Inevera ihm geraten.
»Lasst sie durch!«, rief Jardir und sprang vom Karren herunter. Umgehend traten die erschrockenen Männer beiseite.
»Glaubt ihr, drei
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