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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Aufwärmen durch eine Folge von schlichteren Melodien führte. Bei den vielen schrägen Tönen zuckte er schmerzlich zusammen. Nur Kendall konnte mit ihm Schritt halten, auch wenn ihr Gesicht vor Anspannung verkniffen wirkte.
    »Fürchterlich!«, schnauzte er. »Hat jemand außer Kendall seit gestern Nacht seine Fiedel überhaupt in die Hand genommen? Ihr müsst üben! Den ganzen Tag lang, jeden Tag!«
    Einige Schüler fingen an zu meutern, aber Rojer kratzte auf seiner Fiedel eine Reihe von quietschenden Tönen. »Und euer Gemurre will ich auch nicht hören!«, bellte er. »Wir wollen Dämonen bannen und nicht zu einem Hochzeitsreigen aufspielen. Wenn ihr den Unterricht nicht ernst nehmt, steckt ihr eure Fiedeln besser wieder in den Kasten zurück!«
    Alle schauten betreten auf ihre Füße, und Rojer bereute es, dass er so barsch gewesen war. Er hatte sich nicht halb so streng gegeben, wie Arrick sich aufgeführt hätte, trotzdem war er übers Ziel hinausgeschossen, und seine eigene Ungerechtigkeit bedrückte ihn. Er wusste, dass er jetzt ein paar aufmunternde Worte sagen sollte, aber ihm fiel beim besten Willen nichts ein. In dieser Hinsicht hatte Arrick ihm kein gutes Beispiel gegeben.

    Schwer atmend trat er ein Stück zur Seite. Ohne nachzudenken setzte er seinen Bogen wieder in Bewegung und machte seinem schlechten Gewissen und seiner Enttäuschung durch Musik Luft. Er ließ seine Emotionen in die Töne einfließen, richtete den Blick wieder auf seine Schüler und ließ die Musik zu ihnen sprechen, um ihnen die Hoffnung und Ermutigung zu übermitteln, die er mit Worten nicht spenden konnte. Während er spielte, hoben sie wieder die Köpfe, und in ihre Augen trat ein entschlossener Blick.
    »Das war wunderschön, Rojer«, sagte jemand, als er schließlich den Bogen senkte. Als er sich umdrehte, sah er, dass Kendall neben ihm stand. Er hatte gar nicht gemerkt, wie sie sich ihm genähert hatte - so sehr war er in seiner Musik versunken gewesen.
    »Bist du vielleicht durstig?«, fragte Kendall und hielt ihm einen Steinkrug entgegen. »Ich habe süßen Tee gekocht, er ist noch heiß.«
    Hat Leesha die ganze Zeit gewusst, dass der Tee für mich bestimmt war?, fragte sich Rojer.
    Du bist ihr nicht gut genug, Fiedlerjunge, hatte Elona ihm unverblümt gesagt, und das weißt du ganz genau.
    Offenbar hatte sie Recht gehabt, und Leesha konnte in ihm tatsächlich nur einen Freund sehen. Anscheinend machte es ihr nichts aus, ihn mit einer anderen Frau zu verkuppeln, denn genauso gut hätte sie Kendall eine Schleife umbinden und sie ihm als Geschenk präsentieren können.
    »Aus süßem Tee habe ich mir noch nie viel gemacht«, lehnte Rojer ab. »Davon zittern meine Hände.«
    »Oh«, hauchte Kendall und sank sichtlich in sich zusammen. »Na ja … wenn das so ist.«
    »Ich möchte, dass du heute Nacht ein Solo spielst«, sagte Rojer schnell. »Ich denke, du bist dafür bereit.«
    Kendalls Miene hellte sich auf. »Wirklich?« Sie quiekte vor Begeisterung und fiel ihm um den Hals, wobei sie ihn ein bisschen länger umarmte, als eigentlich nötig gewesen wäre.

    Natürlich musste genau in diesem Augenblick Leesha auftauchen. Rojer erstarrte, und Kendall rückte verwirrt ein Stück von ihm ab, bis sie Leesha entdeckte. Rasch trat sie noch einen Schritt weiter zurück und sank in einen tiefen Knicks. »Meisterin Leesha.«
    »Kendall«, begrüßte Leesha das Mädchen und schenkte ihr ein warmes Lächeln. »Riecht es hier nicht nach süßem Tee?«
    Kendall lief rot an. »Ich … äh …«
    Rojer runzelte unwillig die Stirn. »Lauf und hol deine Fiedel, Kendall.« Er wandte sich an Leesha. »Kendall wird heute Nacht ein Solo versuchen.«
    »Ist sie schon so weit?«, fragte Leesha.
    Rojer zuckte die Achseln. »Ist Wonda so weit, allein Horclinge zu jagen? Als ich das erste Mal einen Dämon mit Musik bannte, war ich jünger als Kendall.«
    »Aber du warst in einer Notsituation. Damals blieb dir wohl gar nichts anderes übrig.«
    »Ihr kann gar nichts passieren«, wiegelte Rojer ab. »Wenn es sein muss, übernehme ich ihren Part, und die Frauen beobachten alles mit gespannten Bögen.« Mit dem Kinn deutete er auf den Rand des Großsiegels, das den Ort schützte, und Leesha sah, dass sich dort ein großer Trupp Bogenschützen versammelt hatte, unter ihnen Wonda.
    Sie begannen mit den Vorbereitungen, indem sie die Bogenschützen anwiesen, sich so zu postieren, dass ein großer Bereich hinter der Grenze frei blieb. Dann führte Rojer

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