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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Friedhofs stand das Heilige Haus, und seitlich angebaut an das steinerne Gebäude befand sich das neue Hospital, das vor den ersten Schneefällen fertig geworden war.
    »Ay, Meisterin Leesha! Rojer!«, rief Benn, als er sie entdeckte. Der Glasbläser wurde begleitet von seinen Lehrlingen, die gläserne Gegenstände und große Glasscheiben trugen. In ihrer Nähe lungerte eine Gruppe Fiedler herum und stimmte lärmend die Instrumente. Benn erteilte seinen Lehrlingen noch rasch ein paar Anweisungen, dann eilte er auf Leesha und Rojer zu.
    »Wir sind bereit, das Glas aufzuladen, Rojer«, erklärte er. »Von uns aus kann es losgehen.«
    »Wie waren die Ergebnisse gestern Nacht?«, erkundigte sich Leesha.
    Benn griff in eine Tasche und zog ein kleines Glasfläschchen heraus. Leesha nahm es in die Hand und prüfte nachdenklich mit
den Fingerspitzen die Siegel. Es schien sich um ganz gewöhnliches Glas zu handeln, aber die Siegel fühlten sich glatt an, als sei die Flasche nach dem Einritzen der Symbole noch einmal erhitzt worden.
    »Versuch, ob du sie zerbrechen kannst«, forderte Benn sie auf.
    Mit voller Wucht schmetterte Leesha das Fläschchen auf die Pflastersteine, aber das Glas prallte nur mit einem glockenreinen Ton ab. Sie hob es auf, um es noch einmal gründlich zu prüfen; sie konnte nicht den kleinsten Kratzer entdecken.
    »Beeindruckend«, meinte sie. »Als Bannzeichner wirst du von Tag zu Tag besser.«
    Benn lächelte und verbeugte sich. »Auf einem Amboss kann man die Flasche mit einem Schmiedehammer zerschlagen, aber man muss sich schon sehr anstrengen.«
    Leesha furchte die Stirn. »Selbst das sollte nicht möglich sein. Zeige mir mal ein Stück, das du noch nicht aufgeladen hast.«
    Benn nickte und gab einem Lehrling einen Wink; der brachte ein anderes Fläschchen, das fast genauso aussah wie das erste. »Das ist eine der Flaschen, die wir heute Nacht aufladen wollen.«
    Leesha nahm die Phiole genau in Augenschein, und mit dem Fingernagel fuhr sie die eingeritzten Rillen nach. »Vielleicht beeinflusst die Tiefe der Kerben die Stärke der Aufladung«, grübelte sie. »Ich werde darüber nachdenken.« Sie steckte die Phiolen in eine ihrer Schürzentaschen, um sie später in aller Ruhe zu studieren.
    »Die Herstellung läuft jetzt wie am Schnürchen«, freute sich Rojer. »Benn und seine Lehrlinge fertigen tagsüber die Flaschen an und ritzen die Siegel ein, und meine Schüler und ich locken nachts Horclinge an, um sie aufzuladen. Bald wird jedes Haus mit Fenstern aus versiegeltem Glas ausgestattet sein, und wir können gefahrlos flüssiges Dämonenfeuer in großen Mengen horten.«
    Leesha nickte. »Heute Nacht möchte ich mir das Aufladen ansehen.«

    »Aber gern«, erwiderte Rojer.
    An der Tür zum Hospital warteten Darsy und Vika. »Meisterin Leesha«, grüßte Vika mit einem Knicks, als sie ankamen. Sie war eine unscheinbare Frau, weder hübsch noch hässlich, stabil gebaut mit breiten, zum Gebären geeigneten Hüften und einem runden Gesicht.
    »Du musst nicht jeden Abend vor mir knicksen, Vika«, bemerkte Leesha.
    »Da bin ich anderer Ansicht«, widersprach Vika. »Immerhin bist du die oberste Kräutersammlerin dieser Stadt.« Vika selbst war ebenfalls eine voll ausgebildete Kräutersammlerin, aber sie und Darsy, beide älter als Leesha, betrachteten sie als ihre Vorgesetzte.
    »Ich glaube nicht, dass Bruna sich mit diesem überflüssigen Firlefanz abgefunden hätte«, erklärte Leesha. Ihre Mentorin, die vor ihr der Stadt als Kräutersammlerin gedient hatte, war gefürchtet gewesen für ihr unberechenbares Temperament, und sinnlose Formalitäten hatte sie auf den Tod nicht ausstehen können.
    »Die alte Vettel war so blind, dass sie es gar nicht mehr gesehen hätte«, erwiderte Darsy, trat auf Leesha zu und begrüßte sie mit einem Kopfnicken. Demutsgesten und Katzbuckeln lagen Darsy nicht, aber ihr Nicken drückte genauso viel Respekt aus wie Vikas Knickse und die Anrede »Meisterin«.
    Darsy, die aus einer Holzfällerfamilie stammte, war groß gewachsen und von massiger Statur, aber sie besaß eindeutig mehr Muskeln als Fett. Bei Festen konnte sie in Wettbewerben, bei denen es auf Körperkraft ankam, die meisten Männer schlagen, und mit der wuchtigen, von Siegeln strotzenden Klinge an ihrer Taille hatte sie manch einem Dämon, der sich auf dem Schlachtfeld über einen Verletzten hermachen wollte, die Gliedmaßen abgehackt.
    »Im Hospital sind alle Vorkehrungen getroffen, wenn die Holzfäller mit den

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