Das Flüstern der Nacht
Verwundeten zurückkommen«, meldete Darsy.
»Danke, Darsy«, erwiderte Leesha. Um Mitternacht ging es im Hospital üblicherweise am lebhaftesten zu, wenn die Holzfäller von der Dämonenjagd zurückkamen. Selbst eine mit Siegeln bedeckte Axt konnte einen Menschen nicht immer vor Baumdämonen retten, die stets ein fürchterlicher Gegner waren. Unter den schattigen Kronen der Bäume verschmolz ihre Haut mit der Borke als trügen sie Tarnumhänge; einige wanderten über den Waldboden und sahen selbst wie Bäume aus, andere wiederum pirschten durch das Astwerk wie Affen, um sich dann unverhofft auf ihre Beute fallen zu lassen.
Dennoch waren unter den Holzfällern immer nur wenige Opfer zu beklagen. Wenn eine mit Siegeln versehene Waffe auf einen Dämon traf und die magischen Zeichen, begleitet von sprühenden Blitzen, zum Leben erwachten, kam es stets zu einer Rückkopplung. Die Magie floss durch die Person hindurch, die die Waffe führte, und verschaffte ihr einen jähen Ausbruch von Ekstase sowie das Gefühl, unverwundbar zu sein. Diejenigen, die von der Magie gekostet hatten, entwickelten größere Körperkräfte, und ihre Verletzungen heilten schneller, zumindest bis zum Morgengrauen. Nur Arlen blieb diese Stärke auch tagsüber erhalten.
»Woran arbeiten die Schülerinnen zur Zeit?«, fragte sie Vika.
»Die ältesten besticken den Umhang mit den Siegeln, die du ihnen gegeben hast«, antwortete Vika. »Die übrigen sterilisieren Instrumente und üben sich im Schreiben.«
»Ich habe Bücher zum Ausfüllen und ein neues Grimoire mitgebracht, das ich gerade fertiggestellt habe.« Leesha reichte ihr die Tasche.
Vika nickte. »Ich sorge dafür, dass sofort mit dem Kopieren begonnen wird.«
»Du lässt Schülerinnen, die im Kräutersammeln ausgebildet werden, Siegel kopieren?«, wunderte sich Rojer. »Sollten nicht lieber die Lehrlinge von Bannzeichnern diese Arbeit übernehmen? Ich spreche mal mit …«
Leesha schüttelte vehement den Kopf. »Mittlerweile erhält jedes meiner Mädchen Unterricht im Bannzeichnen. Ich will nicht, dass sie bei Sonnenuntergang so hilflos sind, wie wir es früher waren.«
Rojer überließ Leesha ihrem Rundgang durch das Hospital und begab sich zu dem Musikpavillon am Rand des Dorfplatzes, wo seine Schüler sich versammelt hatten. Es war eine ungleiche Mischung, so bunt durcheinandergewürfelt wie Rojers Hosen. Einige stammten aus dem Tal, doch die meisten kamen von anderen Städten, angezogen durch die Geschichten über den Tätowierten Mann. Die Hälfte von ihnen war zu alt, um ein Werkzeug oder eine Waffe in die Hand zu nehmen, deshalb hatten sie sich entschlossen, es mit dem Fiedeln zu probieren, nur um dann festzustellen, dass es ihren Fingern an der erforderlichen Geschicklichkeit mangelte. Auch ein paar Kinder waren in der Gruppe, und es konnte noch Jahre dauern, bis sich herausstellte, ob sie Talent hatten.
Lediglich eine Handvoll dieser angehenden Musikanten machte einen vielversprechenden Eindruck, in erster Linie die hübsche Kendall. Sie war Rizonerin und erst vor kurzem im Tal eingetroffen. Alt genug, um komplizierte Tonfolgen zu meistern, aber immerhin noch jung genug, um schnell zu lernen, erfreute sie sich einer hohen musikalischen Begabung. Sie war schlank und behände, und das Saltoschlagen sowie andere akrobatische Kunststücke beherrschte sie mit der gleichen Leichtigkeit wie die Fiedel. Eines Tages würde sie eine ausgezeichnete Jongleurin abgeben.
Rojer widmete sich nicht sofort seinen Schülern, die gelernt hatten, sich zurückzuhalten, bis er von ihnen Notiz nahm. Er holte seine Fiedel aus dem Kasten und zupfte an den Saiten, um zu prüfen, ob sie richtig gestimmt waren. Zufrieden griff er dann mit
seiner verstümmelten Hand nach dem Bogen. Der Zeige- und Mittelfinger fehlten, ein Flammendämon hatte sie abgebissen, als er noch ein Kind war; doch die beiden übrigen Finger waren umso biegsamer und kräftiger, und den Bogen handhabte er, als sei er eine Verlängerung seines Arms.
Sämtliche Gefühle, die er in dieser Nacht hinter seiner Jongleursmaske verborgen hatte, fanden nun Ausdruck in seiner Musik, während er den Platz mit einer eindringlichen Melodie füllte. Nach und nach flocht er Schnörkel und schwierige Passagen ein, machte seine Muskeln geschmeidig und stimmte sich ein auf die vor ihm liegende Arbeit.
Als er die Fiedel verstummen ließ, klatschten seine Lehrlinge Beifall. Rojer verbeugte sich vor ihnen, ehe er sie gewissermaßen zum
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