Das Flüstern der Nacht
eigene Faust Dämonen jagte. Auf Dauer kann das nicht gutgehen. Ich will sie in meiner Nähe haben, damit ich sie im Auge behalten kann.«
Früher wären die Straßen innerhalb der Ortschaft dunkel und verwaist gewesen, nun jedoch beleuchteten die schimmernden Pflastersteine den Weg Dutzender Menschen, die hin und her liefen. Vor fast einem Jahr hatte das Tal in der Schlacht mit den Dämonen viele Einwohner verloren, doch die Anzahl stieg wieder an, als Leute aus nahe gelegenen Weilern in die Stadt strömten, angelockt von der immer stärker aufgebauschten Legende über den Tätowierten Mann. Diese Neuankömmlinge gafften und tuschelten miteinander, wenn Rojer und Leesha, die einzigen bekannten Vertrauten des Tätowierten Mannes, an ihnen vorbeigingen.
Sie betraten den Friedhof der Horclinge, den ehemaligen Dorfplatz, auf dem so viele Dämonen und Talbewohner zu Tode gekommen waren. Trotz dieses Namens war der Friedhof immer noch der Mittelpunkt der Stadt, auf dem sich eine Menge abspielte. Hier unterzogen sich die Bewohner dem Drill, der sie für den Kampf gegen die Horclinge schulte, und hier versammelten sich die Holzfäller an jedem Abend, um sich vom Fürsorger Jona segnen zu lassen, ehe sie zur Dämonenjagd auszogen. Auch jetzt standen sie da, die Köpfe und die breiten Schultern gesenkt, und zeichneten Siegel in die Luft, während Jona für ihre Sicherheit in der ungeschützten Nacht betete.
Auch andere Dörfler hatten sich eingefunden, neigten demütig das Haupt und wollten an der Segnung teilhaben. Von dem Tätowierten Mann war keine Spur zu sehen. Er verschwendete keine Zeit, um einen Segen in Empfang zu nehmen, und vermutlich befand er sich längst draußen auf der Jagd. Manchmal vergingen Tage, ohne dass man ihn zu Gesicht bekam, man entdeckte lediglich die von ihm getöteten Dämonen, die froststarr im Schnee lagen, bis die aufgehende Sonne sie aus der Welt brannte.
»Da ist ja dein Versprochener«, bemerkte Rojer und deutete mit dem Kinn auf Gared Holzfäller, der in der vordersten Reihe der versammelten Menge stand und sich tief herabbeugte, damit Fürsorger Jona, den Gared als Kind schikaniert hatte, ihm mit einem Holzkohlestab ein Siegel auf die Stirn malen konnte.
Leeshas ehemaliger Verlobter war ein Hüne und überragte alle anderen Holzfäller, von denen keiner unter sechs Fuß maß. Er hatte lange blonde Haare und seine gebräunten Arme waren mit dicken Muskeln bepackt. Über seinen Schultern ragten die mit Siegeln bedeckten Stiele zweier Äxte hervor, und seine aus derbem Leder und gehämmertem, versiegeltem Stahl gefertigten Handschuhe baumelten an seinem Gürtel. Bald würden sie mit schwarzem, zischendem Dämonenblut bedeckt sein.
Gared war weder der älteste unter den Holzfällern und auf gar keinen Fall der klügste, aber aus der Schlacht im Tal der Holzfäller ging er als ein Anführer hervor, dem selbst ältere Männer vorbehaltlos folgten. Er war es, der die Leute tagsüber anbrüllte, sie sollten härter trainieren, und nachts griff er als Erster an und ließ mehr tote Horclinge zurück als jeder andere Kämpfer, mit Ausnahme des Tätowierten Mannes.
»Egal, wie übel er dir mitgespielt hat«, meinte Rojer, »du musst zugeben, dass er zu der Sorte Menschen gehört, über die Lieder geschrieben und für die Statuen aufgestellt werden.«
»Oh, ich streite ja gar nicht ab, dass er blendend aussieht.« Leesha musterte Gared. »Er war schon immer ein hübscher Bursche
und zog Schwärmer an wie ein Magnet Eisenspäne anzieht. Es gab mal eine Zeit, da war ich auch von ihm wie beduselt.«
Traurig schüttelte sie den Kopf. »Mit seinem Dad war es ähnlich. Mit ihm hat meine Mutter mehrfach ihr Hochzeitsgelübde gebrochen, und auf einer primitiven Ebene habe ich sogar ein gewisses Verständnis dafür. Beide Männer verkörperten rein äußerlich das perfekte Mannsbild.«
Sie richtete ihren Blick auf Rojer. »Es ist die innere Einstellung, die mir Sorgen macht. Die Holzfäller folgen Gared blind, aber führt er sie an, weil er das Tal verteidigen will, oder weil er das Gemetzel liebt?«
»Die gleiche Frage haben wir uns auch einmal in Bezug auf den Tätowierten Mann gestellt«, erinnerte Rojer sie. »Er hat bewiesen, dass wir uns irrten. Vielleicht müssen wir eines Tages eingestehen, dass wir auch Gared Unrecht tun, wenn wir an der Lauterkeit seiner Motive zweifeln.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, erwiderte Leesha, drehte sich um und setzte ihren Weg fort.
Am hinteren Ende des
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