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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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würde, indem sie ihn nur ansahen.
    Die Frau glitt zu Jardir hinüber, dessen vor Schmerzen halbblinde Augen nur einen verschwommenen weißen Schemen wahrnahmen. Er hätte nicht sagen können, ob sie jung oder alt, hübsch oder hässlich, ernst oder freundlich war. Um solche Trivialitäten schien sie sich nicht zu kümmern, ihre Hingabe an Everam machte sie über sämtliche weltlichen Werte erhaben.
    Das Mädchen nahm einen kleinen Stock, um den viele Lagen weißer Stoff gewickelt waren, steckte ihn Jardir in den Mund und schloss vorsichtig seine Kiefer darüber. Jardir verstand, was sie von ihm verlangte, und biss kräftig zu.
    » Dal’Sharum umarmen ihre Schmerzen«, flüsterte das Mädchen, als die dama’ting an einen Tisch trat, um irgendwelche Instrumente zu holen.
    Er spürte ein scharfes Brennen, als die dama’ting die Wunde reinigte, und litt grässliche Qualen, als sie mit einem kräftigen Ruck an seinem Arm zog, um den Knochen zu richten. Jardir grub
die Zähne in den Stock, versuchte, sich die Worte des Mädchens zu Herzen zu nehmen und sich den Schmerzen zu öffnen, obwohl ihm nicht ganz klar war, was sie damit meinte. Es gab einen Augenblick, da glaubte er, die Tortur nicht länger ertragen zu können, doch dann war es, als durchschritte er eine Tür, und die Schmerzen rückten in eine weite Ferne; er war sich ihrer bewusst, ohne jedoch ein Teil von ihnen zu sein. Sie konnten ihm nichts mehr anhaben. Seine Kiefermuskeln entkrampften sich und der Stock rollte aus seinem Mund, weil er ihn nicht mehr brauchte.
    Als Jardir sich entspannt den Schmerzen überließ, drehte er den Kopf, um die dama’ting zu beobachten. Sie arbeitete ruhig und geschickt und murmelte Gebete an Everam, während sie Muskeln und Haut vernähte. Dann zerrieb sie Kräuter zu einer Paste, die sie großzügig auf die Wunde strich, und umwickelte sie zum Schluss mit sauberem weißem Stoff, den sie vorher in einer dickflüssigen weißen Tunke eingeweicht hatte.
    Mit überraschender Kraft hob sie ihn vom Tisch herunter und setzte ihn auf eine harte Pritsche. Sie hielt eine Flasche an seine Lippen und Jardir trank daraus; schon nach den ersten Schlucken fühlte er sich benebelt und eine wohlige Wärme durchströmte ihn.
    Die dama’ting entfernte sich, aber das Mädchen blieb noch eine Weile bei ihm. »Nach einem Bruch werden Knochen stärker«, wisperte sie tröstend, während Jardir eindöste.

    Als er aufwachte, saß das Mädchen neben seiner Pritsche. Sie drückte ein feuchtes Tuch auf seine Stirn. Die Kälte hatte ihn geweckt. Seine Blicke flackerten über ihr unverhülltes Gesicht. Früher hatte er geglaubt, seine Mutter sei schön, aber verglichen mit diesem Mädchen war sie geradezu unscheinbar.

    »Der junge Krieger ist wach geworden«, stellte sie fest und lächelte ihn an.
    »Du sprichst ja«, flüsterte Jardir mit ausgetrockneten Lippen. Sein Arm schien in weißen Stein eingekapselt zu sein. Während er schlief, hatten sich die Verbände der dama’ting gehärtet.
    »Bin ich ein Tier, das nicht sprechen dürfte?«, fragte das Mädchen.
    »Ich wundere mich, weil du dich mit mir unterhältst«, erklärte Jardir. »Ich bin doch nur ein nie’Sharum .« Und deiner überhaupt nicht würdig , fügte er in Gedanken hinzu.
    Das Mädchen nickte. »Und ich bin eine nie’dama’ting . Es dauert nicht mehr lange, dann steht mir ein Schleier zu, aber noch trage ich ihn nicht, und deshalb darf ich reden mit wem ich will.«
    Sie legte das Tuch zur Seite und hob eine dampfende Schale mit Hafergrütze an seine Lippen. »Wahrscheinlich lässt man euch im Kaji’sharaj hungern. Iss. Das hilft den Zaubersprüchen der dama’ting , dich zu heilen.«
    Jardir schlang das heiße Essen gierig hinunter. »Wie heißt du?«, fragte er, als die Schale leer war.
    Lächelnd wischte das Mädchen seinen Mund mit einem weichen Lappen ab. »Du bist ja ziemlich mutig für einen Jungen, der kaum alt genug ist, seinen Bido zu tragen.«
    »Entschuldige bitte.«
    Sie lachte. »Mut ist kein Grund, um sich zu schämen. Everam verachtet die Furchtsamen. Ich heiße Inevera.«
    »So Everam will«, übersetzte Jardir. Es war eine übliche Redewendung in Krasia. Inevera nickte.
    »Ahmann«, stellte Jardir sich vor, »Sohn des Hoshkamin.«
    Das Mädchen nickte, als sei dies eine wichtige Neuigkeit, aber in ihren Augen blitzte der Schalk.

    »Er ist robust und darf mit dem Training wieder anfangen«, beschied die dama’ting Qeran am nächsten Tag. »Aber er braucht

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