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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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ausmachten. Sie lernten, sich im Gleichklang zu bewegen und zu marschieren, selbst bei hohem Tempo. Mit nichts im Magen außer der dünnen Schleimsuppe wurden die Knaben bald wie Speerspitzen, schmal und hart wie die Waffen, mit denen sie übten.
    Hin und wieder schickten die Exerziermeister Gruppen von Jungen los, um nie’Sharum aus benachbarten sharaj aufzulauern und sie brutal zu verprügeln. Nirgendwo war man sicher, nicht einmal auf der Latrine. Manchmal bestiegen die älteren Burschen wie Hasik und seine Freunde die besiegten Jungen aus anderen Stämmen von hinten und drangen in sie ein als wären sie Frauen. Das galt als schwere Erniedrigung, und Jardir musste mehr als einmal einem Angreifer zwischen die Beine treten, um sich selbst ein solches Schicksal zu ersparen. Ein Majah-Junge schaffte es einmal, Abbans Bido herunterzuziehen, aber Jardir versetzte ihm einen so heftigen Fußtritt ins Gesicht, dass ihm das Blut aus der Nase spritzte.
    »Jeden Augenblick können die Majah uns überfallen, um einen Brunnen zu rauben«, erklärte Kaval nach diesem Angriff, »oder die Nanji kommen und wollen unsere Frauen verschleppen. Wir müssen jeden Tag und jeden Moment bereit sein, zu töten oder getötet zu werden.«
    »Ich hasse diesen Ort«, jammerte Abban, den Tränen nahe, als der Exerziermeister wieder gegangen war. »Ich kann es gar nicht abwarten, bis der Mond erlischt und ich wieder nach Hause gehen kann zu meiner Mutter und meinen Schwestern, auch wenn es nur für die Neumondphase ist.«
    Jardir schüttelte den Kopf. »Er hat Recht. Wenn du unachtsam bist, und sei es auch nur einen winzigen Augenblick lang, ziehst du den Tod an.« Er ballte eine Faust. »Meinem Vater mag das passiert sein, aber ich werde achtgeben.«

    Jeden Tag, nachdem die Exerziermeister ihren Unterricht beendet hatten, beaufsichtigten die älteren Jungen die Übungen, in denen das Gelernte wiederholt wurde, und mit den Bestrafungen waren sie genauso schnell bei der Hand wie die dal’Sharum .
    »Halte die Knie gebeugt, wenn du eine Drehung machst, du Ratte!«, schrie Hasik, als Jardir einen komplizierten sharukin ausführte. Er unterstrich seinen Rat, indem er Jardir in die Kniekehlen trat und ihn in den Staub beförderte.
    »Der Sohn von Kamelpisse beherrscht nicht mal eine simple Drehung!«, rief Hasik lachend den anderen Jungen zu. Seine Zischlaute pfiffen immer noch durch die Lücke, wo Qeran ihm einen Zahn ausgeschlagen hatte.
    Jardir knurrte und stürzte sich auf den älteren Jungen. Den dama und den dal’Sharum musste er gehorchen, aber Hasik war nur ein nie’Sharum , und von einem wie ihm ließ er sich keine beleidigenden Äußerungen über seinen Vater gefallen.
    Aber Hasik war fünf Jahre älter als er und würde bald seinen Bido ablegen. An Körpergröße übertraf er Jardir bei weitem, und er hatte jahrelange Erfahrung in der Kunst des waffenlosen Nahkampfs. Er packte Jardirs Handgelenk, verdrehte es und streckte den Arm, dann vollführte er eine Drehung und ließ seinen Ellbogen hart auf das blockierte Körperglied prallen.
    Jardir hörte das Knacken und sah den aus der Haut ragenden Knochen, doch es dauerte eine geraume Weile, bis ihm dämmerte, was passiert war, und erst dann spürte er den schrecklichen Schmerz.
    Und er fing an zu schreien.
    Hasik schlug ihm die Hand über den Mund, erstickte sein Geheul und zog ihn eng an sich heran.
    »Wenn du mich noch einmal angreifst, du aus Pisse gezeugter Sohn, dann bringe ich dich um«, schwor er.

    Abban legte sich Jardirs unverletzten Arm über die Schultern und schleppte ihn zum Pavillon der dama’ting am hinteren Ende der Exerzierplätze. Als sie sich näherten, wurde das Zelt geöffnet, als hätte man sie erwartet. Eine hoch gewachsene, von Kopf bis Fuß in weiße Gewänder gehüllte Frau hielt die Zeltklappe auf; von ihrem Körper sah man nur die Hände und die Augen. Sie deutete auf einen im Zelt stehenden Tisch, und Abban beeilte sich, Jardir dorthin zu bugsieren, zu einem Mädchen, das ebenfalls ganz in Weiß gekleidet war wie eine dama’ting . Aber kein Schleier bedeckte ihr bildschönes, junges Gesicht.
    Dama’ting sprachen nicht mit nie’Sharum .
    Nachdem er Jardir abgesetzt hatte, verbeugte sich Abban tief. Mit einem Kopfnicken deutete die dama’ting auf die Zeltklappen, und in seiner Hast, ins Freie zu gelangen, stolperte er buchstäblich über seine eigenen Füße. Angeblich konnten die dama’ting in die Zukunft schauen und wussten, wann ein Mann sterben

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