Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
vor allen Dingen als er merkte, dass sich in den Schalen seiner Mutter und seiner Schwestern kein Fleisch befand. Er zwang sich zu essen, um seine Mutter nicht zu kränken, und der Umstand, dass er nur seine linke Hand gebrauchen konnte, verschlimmerte noch seine Schmach.
    Nach dem Essen betete die Familie gemeinsam, bis von den Türmen des Sharik Hora der Ruf erscholl, der die Abenddämmerung ankündigte. Das Evejanische Gesetz verlangte, dass alle Frauen und Kinder sich hinunterbegeben sollten, sobald der Ruf von den Türmen des Tempels ertönte.
    Selbst Kajivahs ärmliche Lehmziegelhütte hatte einen mit Siegeln geschützten Keller, den man verriegeln konnte; durch ihn gelangte man in die Untere Stadt, ein gewaltiges Netz aus Kavernen, das im Falle einer Bresche den gesamten Wüstenspeer miteinander verband.
    »Geht nach unten«, forderte Kajivah seine Schwestern auf. »Ich möchte noch allein mit eurem Bruder sprechen.« Die Mädchen
gehorchten, und Kajivah führte Jardir in die Ecke, in der der Speer und der Schild seines Vaters hingen.
    Wie immer schienen die Waffen vorwurfsvoll auf ihn herabzublicken. Jardir spürte deutlich das Gewicht seines Gipsverbandes, aber da gab es etwas, das noch viel schwerer auf ihm lastete. Er sah seine Mutter an.
    » Dama Khevat sagte, Vater hätte während seines Lebens keinen Ruhm errungen. Das heißt, als er starb, war er ohne Ehre.«
    »Dann kannte dama Khevat deinen Vater nicht so gut wie ich«, entgegnete Kajivah. »Er sprach nur die Wahrheit und hat nie im Zorn die Hand gegen mich erhoben, obwohl ich ihm drei Töchter gebar. Er sorgte dafür, dass in meinem Schoß Kinder heranwuchsen und dass wir Fleisch zu essen hatten.« Sie sah Jardir in die Augen. »Das ist genauso ehrenhaft wie das Töten von alagai . Wiederhole das vor dem Antlitz der Sonne und vergiss es nie.«
    Jardir nickte. »Ich verspreche es.«
    »Du trägst jetzt den Bido«, fuhr Kajivah fort. »Das bedeutet, dass du kein Knabe mehr bist und nicht mit uns hinuntergehen kannst. Du musst bei der Tür Wache stehen.«
    Abermals nickte er. »Ich habe keine Angst.«
    »Vielleicht solltest du dich fürchten«, meinte Kajivah. »Im Evejah steht geschrieben, dass beim Erlöschen des Mondes Alagai Ka , der Vater der Dämonen, über Alas Oberfläche streift.«
    »Nicht einmal er käme an den Kriegern des Wüstenspeers vorbei«, behauptete Jardir.
    Kajivah stand auf und nahm Hoshkamins Speer von der Wand. »Wahrscheinlich nicht«, erwiderte sie und drückte ihm die Waffe in seine linke, unversehrte Hand. »Aber sollte es ihm doch gelingen, dann ist es an dir, ihn von unserer Tür fernzuhalten.«
    Bestürzt nahm Jardir die Waffe entgegen, und Kajivah nickte einmal, bevor sie seinen Schwestern nach unten folgte. Unverzüglich stellte sich Jardir vor die Tür und harrte dort die ganze Nacht
lang in kerzengerader Haltung aus. Auch in den beiden folgenden Nächten bewachte er die Tür, während sich die weiblichen Mitglieder der Familie in den Keller zurückzogen.

    »Ich brauche einen Dummen, einen Prügelknaben«, erklärte Jardir. »Denn wenn die dama’ting mir den Verband abnehmen, muss ich mich von neuem in die Essensschlange stellen.«
    »Wir können uns wieder zusammentun«, schlug Abban vor. »So wie früher.«
    Jardir schüttelte den Kopf. »Wenn ich mir von dir helfen lasse, halten die anderen mich für schwach. Ich muss ihnen zeigen, dass ich nach meiner Genesung stärker bin als zuvor, sonst tobt sich jeder an mir aus.«
    Abban nickte und überdachte das Problem. »Du musst dir jemanden aussuchen, der bisher immer vor dir in der Schlange stand«, riet er, »aber er darf nicht so weit an der Spitze stehen, dass du Hasik und seine Spießgesellen verärgerst.«
    »Du denkst wie ein Händler«, stellte Jardir fest.
    Abban schmunzelte. »Ich bin auf dem Basar aufgewachsen.«
    Während der nächsten Tage beobachteten sie gespannt die Schlange. Vor seiner Verletzung hatte sich Jardir einen Platz in der Mitte der Reihe erkämpft, und nun richteten sie ihr Augenmerk auf die Burschen, die ein kurzes Stück vor diesem Punkt Plätze ergatterten. Die Jungen, die sich dort aufstellten, waren ein paar Jahre älter als er und erheblich größer. Sie merkten sich ein paar mögliche Kandidaten und fingen an, sie während des Drills aufmerksam zu belauern.
    Im Wesentlichen hatte sich an dem Training nichts geändert. Bei den Hindernisläufen stützte der harte Verband Jardirs Arm, und die Exerziermeister ließen ihn mit der linken

Weitere Kostenlose Bücher