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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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wolltest mich mit einem anderen Mädchen verkuppeln, um mich endlich los zu sein. Es bedrückt dich,
dass du meine Gefühle nicht erwidern kannst, und auf diese Weise hättest du dein Gewissen beruhigt. Du bist deiner Mutter ähnlicher als dir bewusst ist.«
    Leesha öffnete den Mund zu einer Erwiderung, aber ihr fiel beim besten Willen nichts ein. Rojer stellte seine Schale auf den Boden, stand auf und ging einfach weg; er klemmte sich die Fiedel unters Kinn und spielte eine zornige Melodie, in der jedes Wort, mit dem Leesha ihn hätte zurückrufen können, untergegangen wäre.

    Auf dem Friedhof der Horclinge herrschte das reinste Chaos, als Leesha und die anderen in die Stadt zurückkehrten. Hunderte von Menschen, viele von ihnen verletzt, aber alles Fremde, drängten sich auf dem Platz. Alle waren schmutzig, zerlumpt und halbverhungert. Völlig entkräftet lagerten sie auf dem eiskalten Steinpflaster.
    Fürsorger Jona wieselte hin und her und rief seinen Schülern Befehle zu, während er sich bemühte, den Leuten zu helfen. Die Holzfäller schleppten Baumstämme auf den Platz, um wenigstens ein paar Sitzgelegenheiten zu schaffen, aber alle zu versorgen war ein hoffnungsloses Unterfangen.
    »Dem Schöpfer sei Dank!«, atmete der Fürsorger auf, als er Leesha sah. Vika, seine Frau, rannte zu ihm und umarmte ihn voller Erleichterung, während er den Neuankömmlingen entgegeneilte.
    »Was ist passiert?«, fragte Leesha.
    »Das sind Flüchtlinge aus Fort Rizon«, erklärte Jona. »Erst heute früh trafen sie hier ein, wenige Stunden nach Tagesanbruch. Und es kommen ständig mehr.«
    »Wo ist der Erlöser?«, schrie eine Frau aus der Menge. »Uns wurde gesagt, er sei hier.«
    »Haben sämtliche Siegel der Stadt versagt?«, staunte Leesha.

    »Das ist unmöglich«, wandte Erny ein. »Rizon besteht aus über hundert Weilern, die alle durch eigene Siegelnetze geschützt sind. Wieso sollten sich die Leute bis hierher flüchten?«
    »Wir sind nicht vor den Horclingen geflohen«, mischte sich jemand ein. Leesha kannte diese Stimme und drehte sich überrascht um.
    »Marick!«, rief sie. »Was hast du hier zu suchen?« Der Kurier hatte nichts von seinem guten Aussehen eingebüßt, aber auf seinem Gesicht, das nur zum Teil von seinem langen Haar und dem Bart verdeckt wurde, zeichneten sich alte, mittlerweile gelb verfärbte Blutergüsse ab, und als er näher kam, merkte sie, dass er ein Bein leicht nachzog.
    »Ich habe den Fehler gemacht, in Rizon zu überwintern«, erklärte Marick. »Normalerweise ist das eine gute Idee; im Süden wird es nie so richtig kalt.« Er gluckste in sich hinein, aber es war ein bitteres Lachen. »Nur in diesem Jahr hatte ich verdammtes Pech.«
    »Wenn nicht die Dämonen an dieser Flucht schuld sind, was hat dann die Leute dazu getrieben, ihre Heimat zu verlassen?«
    »Krasianer!«, erwiderte Marick und spuckte in den Schnee. »Anscheinend waren die Wüstenratten es leid, Sand zu fressen, und haben sich entschieden, zivilisierte Menschen zu überfallen.«
    Leesha wandte sich an Rojer. »Suche Arlen«, flüsterte sie ihm zu. »Er soll heimlich in das Hinterzimmer von Smitts Taverne kommen, wo wir uns dann treffen. Aber beeil dich.« Rojer nickte und rannte los.
    »Darsy, Vika«, richtete Leesha das Wort an die beiden anderen Kräutersammlerinnen. »Die Schülerinnen sollen die Verwundeten nach der Schwere ihrer Verletzungen einteilen und sie dann ins Hospital bringen.«
    Die Frauen zögerten keine Sekunde, sondern fingen sofort mit der Arbeit an.

    »Jona«, fuhr Leesha fort, »lass deine Schüler Tragbahren aus dem Hospital holen und beim Transport der Verletzten helfen.« Jona verneigte sich und ging.
    Als die Leute sahen, dass Leesha Anordnungen erteilte, fanden sich noch mehr bei ihr ein. Sogar Smitt, der Stadtsprecher und Gastwirt, wartete darauf, dass sie ihm eine Aufgabe zuwies.
    »Als Erstes brauchen diese Menschen Wasser und einen Raum, in dem sie vor der Kälte geschützt sind«, sagte Leesha zu ihm. »Stell die Hochzeitspavillons auf und jedes Zelt, das du beschaffen kannst. Jeder, der nicht gerade mit etwas anderem beschäftigt ist, soll Wasser holen. Wenn es zu lange dauert, Wasser aus den Brunnen und dem Fluss zu schöpfen, lass Kessel auf ein Feuer stellen und sie mit Schnee füllen.«
    »Wird gemacht«, versprach Smitt.
    »Seit wann tanzt das ganze Tal nach deiner Pfeife?«, erkundigte sich Marick grinsend.
    Leesha sah ihn an. »Ich muss mich jetzt um die Verwundeten kümmern, Meister

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