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Das Flüstern der Nacht

Das Flüstern der Nacht

Titel: Das Flüstern der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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als die Siegel ihren Feuerspeichel umwandelten. Noch schlimmer waren die Baumdämonen, die bald die anderen Horclinge vertrieben und so heftig gegen die Siegel schlugen, dass der ganze Abort bei jedem Stoß gefährlich wankte. Renna empfand jedes Aufflackern der Siegel wie einen körperlichen Schlag, sie sank auf den Boden, krümmte sich fest zusammen und fing haltlos an zu schluchzen.

    Eine Ewigkeit lang schien es so weiterzugehen. Nach ein paar Stunden - nur der Schöpfer wusste, wie viel Zeit vergangen sein mochte - merkte Renna, dass sie mit ihren Nerven am Ende war. Sie betete, die Siegel mögen versagen - und dazu musste es im Laufe der Nacht einfach kommen -, nur um diese Qualen zu beenden. Hätte sie die Kraft zum Aufstehen gefunden und wäre es möglich gewesen, sie hätte selbst die Tür geöffnet, um die Horclinge einzulassen.
    Noch eine endlose Weile später spürte sie, dass ihr selbst zum Weinen die Kraft fehlte. Das Blitzen der Magie, die Schreie in der Nacht, der Gestank aus der Jauchegrube, all das rückte in den Hintergrund, als sie tiefer und tiefer in einer instinktiven Angst versank, die so übermächtig war, dass die Einzelheiten rings um sie her aufhörten zu existieren.
    Zusammengerollt lag sie am Boden, jeder Muskel verkrampft, und stumme Tränen flossen aus ihren weit aufgerissenen Augen, mit denen sie in die Dunkelheit starrte. In kurzen, scharfen Atemzügen schnappte sie nach Luft, und ihr Herz flimmerte wie die Flügel eines Kolibris. Mit den Fingernägeln grub sie Rillen in die Holzbalken, ohne überhaupt zu merken, dass sie sich die Hände blutig riss und Splitter bis ins Fleisch drangen.
    Sie bekam nicht einmal mit, wie der Lärm und die Lichtblitze aufhörten, als die Dämonen in den Horc zurückkrochen.
    Mit einem dumpfen Knall wurde der Außenriegel angehoben, aber Renna rührte sich erst, als die Tür weit offen stand und das grelle Licht der aufsteigenden Sonne in das Kabuff strömte. Nachdem sie stundenlang ins Dunkel gestarrt hatte, schmerzte die Helligkeit in ihren Augen, und abrupt wurde ihr Geist in die Wirklichkeit zurückgeholt. Nach Atem ringend schnellte sie hoch, riss einen Arm schützend vor ihre Augen und wich schreiend bis an die hintere Wand des Aborts zurück.
    Ihr Vater legte die Arme um sie und strich ihr beruhigend übers Haar. »Ist ja gut, Mädchen, ist ja gut«, flüsterte er zärtlich. »Ich habe
genauso gelitten wie du.« Er drückte sie an sich, fest und doch sanft, und wiegte sie hin und her, während sie hilflos schluchzte.
    »So ist es richtig, mein Mädchen«, redete er auf sie ein. »Weine du nur. Lass all deinen Kummer raus.«
    Und das tat sie. Sie klammerte sich an ihn und wurde immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt, und es dauerte eine Weile, bis sie sich beruhigte.
    »Denkst du, dass du mir jetzt gehorchen kannst?«, fragte Harl, als sie ihre Fassung halbwegs wiedergewonnen hatte. »Ich möchte das nicht nochmal tun müssen.«
    Renna nickte eifrig. »Ja, Dad. Ich verspreche es dir.« Ihre Stimme war heiser vom Schreien.
    »Bist ein braves Mädchen«, lobte Harl. Dann hob er sie hoch und trug sie ins Haus. Er legte sie auf ihrem eigenen Bett ab, kochte für sie eine heiße Brühe und brachte ihr das Mittagessen und das Nachtmahl auf einem Brett, das sie über ihren Schoß legen konnte. Es war das erste Mal, dass Renna sah, wie er ein Essen zubereitete, aber es war warm, schmackhaft und sättigend.
    »Morgen früh kannst du dich ausschlafen«, erklärte er an diesem Abend. »Ruh dich aus, und am Nachmittag bist du dann wieder frisch wie ein Frühlingsregen.«
    Tatsächlich fühlte sich Renna am nächsten Tag besser, und am Tag darauf ging es ihr wieder recht gut. Nachts kam Harl nicht zu ihr, und tagsüber ließ er sie nach eigenem Gutdünken arbeiten. Die Zeit verstrich, und es war klar, dass Cobie nicht zurückkommen würde. Und damit fand sie sich ab.
    Manchmal, in den knappen Verschnaufpausen zwischen den einzelnen Pflichten, drangen Erinnerungsfetzen an die Nacht im Abort auf sie ein, aber sie verdrängte sie rasch aus ihren Gedanken. Das gehörte der Vergangenheit an; von nun an wollte sie sich bemühen, eine gehorsame Tochter zu sein, damit sie nie wieder Angst haben musste, noch einmal dort eingesperrt zu werden.

15
    Maricks Geschichte
    333 NR - Winter
     
     
    D ie Leute hatten sich am frühen Abend in Leeshas Hütte versammelt, als der Himmel noch in Lavendel- und Orangetönen glühte. Die Ersten, die eintrafen, waren Darsy, Vika

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