Das Flüstern der Nacht
schleiften mich zu ihm, gefesselt und grün und blau geschlagen, und als er hörte, dass ich ein Bannzeichner bin, ließ er mich einfach frei. Als wäre nie etwas geschehen. Er gab mir sogar einen Beutel voll Gold, um mich für das, was man mir angetan hatte, zu entschädigen! Ich denke, er wollte, dass ich ihnen etwas über unsere Siegel verrate und ihnen beibringe, sie zu zeichnen, aber am
nächsten Morgen kletterte ich über die Mauer und machte, dass ich von der Stadt wegkam.«
»Ihr Anführer«, drängte der Tätowierte Mann. »Wie war er gekleidet?«
Marick blinzelte überrascht. »Er trug eine offene weiße Robe und eine Kopfbedeckung. Die Tracht darunter war schwarz, nach Art ihrer Krieger. Und er trug eine Krone; daran erkannte ich ja, dass er ihr Herzog sein muss.«
»Eine Krone?«, hakte der Tätowierte Mann nach. »Bist du sicher? Oder steckte nur ein Juwel an seinem Turban?«
Marick runzelte die Stirn. »Ich bin mir absolut sicher. Die Krone bestand aus Gold und war mit Edelsteinen und Siegeln verziert. Das verdammte Ding muss mehr wert sein als sämtliche anderen Herzogskronen zusammen.«
»Und dieser Herzog, hat er sich mit dir in unserer Sprache verständigt?«, fragte der Tätowierte Mann
»Er beherrscht sie besser als manche Angieraner, die ich kenne«, behauptete Marick.
»Und wie hieß er?«
Marick zuckte die Achseln. »Ich glaube nicht, dass jemand seinen Namen genannt hat. Alle sprachen ihn nur mit einem Ausdruck aus diesem Wüstendialekt an, Shamaka oder so ähnlich. Ich schätze, damit ist ›Herzog‹ gemeint.«
»Shar’Dama Ka?«, fragte der Tätowierte Mann.
»Ay!« Marick nickte. »Genauso hat es sich angehört.«
Der Tätowierte Mann fluchte leise.
»Was ist los?«, fragte Leesha, doch er beachtete sie nicht, sondern beugte sich zu dem Kurier vor.
»War er ungefähr so groß?«, wollte er wissen und hob eine Hand über seinen eigenen Kopf. »Hatte er einen in zwei Spitzen auslaufenden, geölten Bart und eine Hakennase?«
Marick nickte.
»Trug er einen Speer mit Siegeln bei sich?«
»Alle waren mit solchen Speeren bewaffnet.«
»Aber an seinen wirst du dich sicher erinnern«, meinte der Tätowierte Mann.
Wieder nickte Marick. »Er bestand ganz aus Metall, vom Schaft bis zur Spitze. Und darin waren Siegel eingeritzt.«
Das Knurren, das sich aus der Kehle des Tätowierten Mannes löste, wirkte so bedrohlich, dass selbst Marick, der normalerweise keine Furcht kannte, einen Schritt zurückwich.
»Was ist los?«, wiederholte Leesha ihre Frage.
»Ahmann Jardir«, zischte der Tätowierte Mann. »Ich kenne ihn.«
»Was soll das heißen?«, bestürmte sie ihn, aber der Tätowierte Mann winkte ab.
»Das ist jetzt unerheblich«, erklärte er. »Erzähl weiter«, bat er Marick. »Was geschah als Nächstes?«
»Wie ich schon sagte, nachdem man mich freiließ, kletterte ich bei der ersten Gelegenheit über die Mauer und floh aus der Stadt. Die Dörfer, durch die ich kam, waren mittlerweile zu einem großen Teil verlassen. Als die Bewohner von dem Überfall auf Fort Rizon erfuhren, schnappten sich die Leute, die schlau genug waren, ihre Siebensachen und suchten das Weite, ehe das Blut auf den Straßen der Hauptstadt trocknen konnte. Wer zur Flucht zu schwach war oder sich zu sehr vor der Nacht fürchtete, blieb zurück. Ich schätze, dass mehr blieben als gingen, trotzdem waren immer noch Zehntausende unterwegs.
Von einem alten Burschen, der zurückgelassen wurde, kaufte ich ein Pferd und galoppierte los. Bald darauf holte ich die Flüchtlinge ein. Die Gruppen waren zu groß, um zusammenzubleiben; keine Ortschaft hätte so viele Menschen aufnehmen können. Die meisten gingen nach Lakton und in die umliegenden Dörfer, wo jeder, der nur einen Angelhaken und eine Schnur besitzt, seinen Magen füllen kann. Aber die Jongleure haben viel über dich erzählt«, er zeigte auf den Tätowierten Mann, »und diejenigen, die
dich tatsächlich für den Erlöser halten, der zurückgekehrt ist, strömten in Scharen hierher. Eigentlich hätte ich nach Angiers reiten müssen, um dem Herzog Bericht zu erstatten, aber ich konnte die Leute doch nicht einfach auf der Straße sich selbst überlassen - es befand sich ja kaum ein Bannzeichner unter ihnen. Deshalb bot ich ihnen meine Unterstützung an.«
»Du hast richtig gehandelt, Marick«, warf Leesha ein und legte eine Hand auf seinen Arm. »Ohne dich wären diese Menschen verloren gewesen. Geh und lass es dir in der Schankstube gutgehen, während
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